Kaltgestellt
feststellen. Meine Frage nach dem Mord an unserem Premier hat ihnen eine solche Angst eingejagt, daß sie kein Wort mehr gesagt haben. Zum Glück war ›das Ohr‹ da schon gesprächiger.«
»Das Ohr?«, sagte Paula erstaunt.
»So wird der Mann in der französischen Unterwelt genannt. Er ist ganz schön ausgefuchst und spielt ein doppeltes Spiel. Für Geld versorgt er sowohl die Polizei als auch die Unterwelt mit Informationen, was außer mir aber kaum jemand weiß.«
»Der Mann lebt wohl gern gefährlich«, bemerkte Newman. »Aber er stellt es sehr geschickt an und macht sich für die Polizei unentbehrlich«, erwiderte Marler. »Zum Beispiel hat er dafür gesorgt, daß eine ganze Reihe von algerischen Bombenlegern, die vor einiger Zeit Paris terrorisiert haben, hinter Schloß und Riegel gekommen sind.
Seitdem hat er beim Präfekten von Paris einen Stein im Brett.«
»Und der hat es auch nicht mit der Angst bekommen, als Sie ihm Ihre Frage gestellt haben, nehme ich an«, sagte Newman.
»Nicht im Geringsten. Er hat allerdings das Doppelte seines üblichen Honorars verlangt, was ich ihm aber gern gegeben habe. Der bewußte Killer scheint ein echter Profi zu sein. Vor ein paar Wochen hat er diesen französischen Minister getötet, der in der Nationalversammlung eine flammende Rede gegen die Bestrebungen der USA gehalten hat, ihre Weltmachtstellung noch weiter auszubauen. Einen Monat zuvor hat er Heinz Keller beiseite geräumt, einen deutschen Politiker, der ebenfalls eine kritische Einstellung gegenüber Amerika hatte und bereits als zukünftiger Bundeskanzler gehandelt wurde.«
»Dann dürfte der Attentäter wohl Amerikaner sein«, sagte Paula.
»Nein, mit Sicherheit nicht«, widersprach Marler. »Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das auch ganz logisch. Würde der Mann nämlich jemals gefaßt werden, bekäme es Washington mit wütenden Protesten aus aller Welt zu tun. Unsere Freunde jenseits des Atlantiks sind bei solchen Dingen in letzter Zeit etwas gewiefter geworden. Oder soll ich diabolischer sagen?«
»Wollen Sie uns nicht den Namen des Killers nennen?«, fragte Newman ungeduldig. »Warum nicht?«, sagte Marler lässig. »Man nennt ihn das Phantom.«
»Das klingt aber ganz schön bedrohlich«, bemerkte Paula. »Bedrohlich ist der Kerl zweifelsohne«, sagte Marler. »Und dazu noch ausgesprochen professionell. Sonst wäre es ihm niemals gelungen, das Attentat auf den scharf bewachten Premierminister zu verüben und dann spurlos zu verschwinden. Die vom Special Branch haben hinterher nicht einmal das Gewehr gefunden, das er benützt hat. Dabei ist es verdammt schwierig, so eine Waffe durch einen Kordon von Sicherheitskräften zu schmuggeln. Daß der Mistkerl den Premier vom Dach eines Lagerhauses aus erschossen hat, in dem ausgerechnet Schulbücher aufbewahrt werden, erinnert irgendwie an das Attentat auf John F. Kennedy damals in Dallas.«
»Hat das ›Ohr‹ denn einen Anhaltspunkt für die Nationalität des Attentäters?«, fragte Newman.
»Er soll Europäer sein, möglicherweise sogar Engländer. Das ›Ohr‹ hat aber betont, daß das ein bloßes Gerücht ist.«
»Dann weiß man über die Identität des Täters also rein gar nichts?«, sagte Newman.
»Richtig. Angeblich soll er eine Reihe von Freundinnen haben. Aber auch das hat das ›Ohr‹ als unbestätigtes Gerücht bezeichnet.«
»Uns fehlt also ein Name.«
»Zumindest derzeit noch. Aber das ›Ohr‹ hört sich weiter um. Er spricht sehr gut Englisch und wird mich hier kontaktieren, sobald er mehr herausgefunden hat. Er wird sich Maurice nennen und eine Nachricht hinterlassen, die möglicherweise nur aus einer Adresse und einer Uhrzeit besteht.«
»Gibt es sonst noch irgendwelche Hinweise?«, fragte Tweed. »Einen noch, aber der könnte irreführend sein. Das ›Ohr‹ behauptet, daß der Killer in Dollar bezahlt wird, aber das könnte auch eine Verschleierungstaktik sein. Niemand kann sagen, ob sein Auftraggeber wirklich in den USA sitzt.«
»Das war gute Arbeit, Marler«, sagte Tweed. »Aber jetzt sollten wir uns anhören, was Bob zu berichten hat. Er hat gerade Cord Dillon hinaus zum Bunker gebracht. Paula, könnten Sie Marler vielleicht kurz Ihr abenteuerliches Zusammentreffen mit Dillon schildern?«
»Abenteuerlich ist das richtige Wort«, sagte Paula und beschrieb in knappen Worten, was sie erlebt hatte. Während sie redete, bemerkte Newman wieder einmal, wie attraktiv Paula war. Sie war Anfang dreißig, hatte eine schlanke
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