Kaltgestellt
einmal zu erleben, als sie Sir Guy Strangeways erblickte, der an einem niedrigen Tisch saß. In dem Sessel gegenüber hatte Sharon Mandeville Platz genommen, die ein Glas in der Hand hielt. Als sie Tweed erblickte, hob sie die Augenbrauen und lächelte ihn einladend an. »Was für ein unerwartetes Vergnügen«, sagte sie. »Jetzt können Sie mich ja morgen Abend zum Essen einladen. Oder sollte ich besser heute Abend sagen? Schließlich ist es fast sechs Uhr früh.«
»Sind Sie uns gefolgt?«, fragte Strangeways mit barscher Stimme.
»Dann sind Sie wohl gemeinsam hierher gereist?«, fragte Tweed zurück.
»Nein, das sind wir nicht«, antwortete Sharon. »Ich bin allein in einem Mercedes hierher gefahren. Aber ich habe Sir Guy in Basel gesagt, daß ich in diesem Hotel absteigen würde, und er hat geantwortet, daß er ebenfalls hierher kommen würde. Ich dachte erst, er macht einen Witz, aber wie Sie sehen, hat er es ernst gemeint. Aber setzen Sie sich doch. Schön, Sie zu sehen, Paula. Und Sie, Bob, machen unsere kleine Party vollständig.«
»Eine Party um sechs Uhr früh?«, fragte Newman. »Warum nicht?«, entgegnete Sharon mit einem gewinnenden Lächeln. »Das ist doch die schönste Zeit des Tages. Ich jedenfalls mag sie sehr. Niemand im ganzen Hotel ist auf den Beinen, nur wir fünf. Einen Schluck Schampus, Paula?«
»Nein, danke. Nicht für mich.«
Sharon hatte eine Champagnerflasche aus einem Eiskübel auf dem kleinen Tisch geholt und füllte ein frisches Glas. »Aber Sie trinken schon einen mit, Bob, oder?«
»Ja. Aber nur ein Glas. Entweder hält es mich wach oder es macht mich so müde, daß ich gut schlafen kann.«
»Und Sie, Tweed, trinken doch sicher auch einen. Wollen Sie mir nicht verraten, wieviel Sie in den vergangenen vierundzwanzig Stunden geschlafen haben?«
»Ich habe auf der Fahrt hierher ein paar kurze Nickerchen gemacht.«
»So was dachte ich mir schon. Sie und ich, wir haben eines gemeinsam«, sagte sie, während sie ihm mit einem hinreißenden Lächeln ein Glas Champagner einschenkte. »Wir sind mit einem erstaunlichen Durchhaltevermögen gesegnet. Ich komme mit vier Stunden Schlaf pro Nacht aus. Wenn es sein muss, auch mit weniger. Darf ich Ihnen auch noch etwas nachschenken, Guy?«
»Nein, vielen Dank. Ich werde wohl bald ins Bett gehen. Aber vorher möchte ich noch eine Antwort auf meine Frage, Tweed. Warum verfolgen Sie uns?«
»Ihre Frage vorhin war noch etwas anders gestellt, Guy. Ich möchte die Frage gern zurückgeben. Erst kommen Sie kurz vor uns im Hotel Drei Könige in Basel an und jetzt passiert hier de Gleiche.«
»Ich muss jetzt wirklich ins Bett«, sagte Strangeways und wuchtete sich aus seinem Sessel hoch. »Mir fallen schon die Augen zu. Gute Nacht, allerseits.«
Während Strangeways sich vom Tisch entfernte, verglich ihn Tweed mit Sharon. Während Sir Guy dick geschwollene Tränensäcke unter den Augen hatte und einen angespannten, fast ausgezehrten Eindruck machte, wirkte sie so frisch wie der sprichwörtliche junge Morgen. Als er sie ansah, erwiderte sie seinen Blick mit ihren lebhaften grünen Augen. »Es kommt mir so vor, als ob sich Guy wegen etwas große Sorgen machen würde – finden Sie nicht auch?«, fragte Tweed.
»Mir geht es ähnlich. Seit er sich vor einer ganzen Weile zu mir gesetzt hat, hat er ständig nervös herumgezappelt. Ich habe ihn , ganz direkt gefragt, was er denn hat, aber er wollte nicht einmal eine Andeutung machen. Dafür hat er so viel Champagner getrunken, daß ich eine zweite Flasche bestellen mußte. Aber ich habe auch mitgehalten, so ist das nicht«, ergänzte sie lächelnd. »Guy hat eindeutig etwas auf dem Herzen, aber er will nicht damit herausrücken.«
»Wahrscheinlich ist es ihm peinlich«, sagte Tweed nachdenklich und nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Das kann gut sein«, erwiderte Sharon und blickte hinüber zu Paula. »Aber Sie sind ja heute so still. Seit Sie hier sitzen, haben Sie noch kein einziges Wort gesagt.«
»Tut mir Leid, das war nicht sehr höflich von mir. Aber ich bin einfach müde. Es war ein langer Tag für mich.« Sie lächelte. »Und eine lange Nacht. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gern auf mein Zimmer gehen.«
»Ich schätze, wir könnten alle eine Mütze voll Schlaf gebrauchen«, meinte Newman und erhob sich fast zeitgleich mit Paula. »Ich freue mich schon darauf, Sie wiederzusehen, Sharon!«
»Aber Sie lassen mich hoffentlich nicht ganz allein hier sitzen?«, fragte Sharon
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