Kaltgestellt
Es gelang Paula mit Mühe, das Fenster zu schließen, bevor sie ein Geräusch hörte. Es war das Rascheln von steifem Stoff, ein Geräusch, das bereits Mrs. Bellocs Eintreten in den großen Saal vorhin begleitet hatte. Paula erstarrte. Sie hatte nicht gehört, wie die Tür aufgegangen war. »Wenn ich Sie wäre, würde ich nichts mit ihm zu tun haben wollen«, sagte Mrs. Belloc mit harter Stimme. Einen schrecklichen Augenblick lang dachte Paula, die Haushälterin hätte Butler bemerkt, aber dann sah sie, wie draußen vor dem Fenster Rupert auf einem großen Hengst vorbeiritt. Auf einmal riß er so heftig am Zügel, daß das Tier vorne hochstieg. Rupert blieb im Sattel und winkte Paula mit der Reitpeitsche zu, während die Vorderbeine des Pferds wieder den Boden berührten.
»Sehen Sie bloß, wie er wieder angibt«, sagte Mrs. Belloc verächtlich. Paula drehte sich um und sah, wie die untersetzte Frau mit dem schwarzen Umschlagtuch über dem Kopf ein glänzendes Silbertablett mit Tee und Keksen auf eines der Tischchen stellte. Das Tablett sah aus, als wäre es ein Erbstück. Paula konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß Strangeways Geld für so etwas ausgab.
»Nehmen Sie Milch und Zucker in Ihren Tee?«
»Nur Milch, bitte. Das ist sehr freundlich von Ihnen, danke. Die Kekse sehen wirklich sehr lecker aus.« Als Paula sich setzte, machte Mrs. Belloc keine Anstalten zu gehen. Sie hatte nach ihrem Eintreten die Tür geschlossen und bewegte sich jetzt nahe an Paula heran, die auf einem der Sofas saß und einen Schluck Tee nahm. Ihre großen, häßlichen Hände hatte Mrs. Belloc vor dem Bauch gefaltet, während sie Paula mit einem durchdringenden Blick anstarrte. »Der Tee ist wunderbar«, sagte Paula. »Vielen Dank.«
»Rupert fährt häufig auf den Kontinent. Meistens nimmt er eine seiner Damen mit. Er hat einen ganzen Harem von Flittchen. Nein, das stimmt nicht ganz. Es sind keine Flittchen, sondern hochnäsige Gören aus gutem Haus, die nicht das geringste bißchen Verstand besitzen.«
»Tatsächlich?«
»Rupert geht gern in die Casinos auf dem Kontinent. Er hat dort schon ein Vermögen verspielt.«
»Vermutlich kann er es sich leisten.«
»Das weiß ich nicht. Als seine Mutter starb, hat sie ihm eine monatliche Rente hinterlassen. Sie hätte sich wohl nicht träumen lassen, was für eine Art Leben sie damit unterstützt.«
»Verstehe.« Paula aß einen Keks. Sie achtete darauf, daß sie nicht zu viel sagte. Erstens haßte sie Klatsch, und zweitens wollte sie nicht, daß Mrs. Belloc Ruperts Vater irgendwelche despektierlichen Äußerungen ihrerseits über seinen Sohn hinterbrachte.
»Der junge Herr ist ein Jagdnarr. Hauptsächlich schießt er auf Fasane und gibt damit an, daß er mit jedem Schuß einen Vogel erlegt. So, jetzt lasse ich Sie aber in Ruhe. Ich muss hinauf in den Turm.«
»Was ist denn dort?«
»Vom Turm aus habe ich einen guten Überblick und kann beobachten, was Rupert so treibt. Ich rate Ihnen dringend, einen weiten Bogen um ihn zu machen.« Mit diesen Worten ging sie langsam zur Tür und verließ dann die Bibliothek. Paula nahm sich einen weiteren Keks. Während sie ihn aß, gingen ihr die unterschiedlichsten Gedanken durch den Kopf. Unter anderem fragte sie sich, wie Tweed wohl mit ihrem Gastgeber vorankam.
»Wie wäre es mit einem doppelten Scotch?«, fragte Strangeways, kaum daß sie allein waren.
»Nein, danke. Ich muss noch Auto fahren.« Strangeways ging forschen Schritts zu einem Wandschrank, wo er eine Flasche teuren Whiskys herausnahm. Als er sich davon eingoß, klirrte der Hals der Flasche gegen das Glas. Strangeways trank die Hälfte der großzügig eingeschenkten Spirituose mit einem Schluck, dann kam er zurück zum Tisch und nahm Tweed gegenüber Platz.
»So, da fühlt man sich doch gleich besser. Den habe ich richtig nötig gehabt.«
»Beunruhigt Sie etwas?«
»Mr. Tweed, wie Sie wissen, habe ich lange Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt. Ich weiß, was da drüben vor sich geht, und kenne viele wichtige Leute dort. Heute Abend werde ich zum Beispiel mit Jefferson Morgenstern in der Stadt zu Abend essen.«
»Ist Morgenstern über irgend etwas beunruhigt?«
»Ich glaube schon. Versetzen Sie sich doch bloß mal in seine Lage! Global betrachtet, fühlen sich die Vereinigten Staaten von allen Seiten her eingekesselt. Jenseits des Pazifiks lauert China mit seinen Interkontinentalraketen und streckt seine Fühler nach Russland aus, um sich mit den dortigen
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