Kaltgestellt
mit meinem Chef unter vier Augen zu sprechen«, ergänzte Paula mit einem Lächeln. »Wenn Sie zurück in die Eingangshalle gehen, finden Sie linker Hand eine Bibliothek, meine Liebe. Falls Sie Interesse an Büchern haben, sollten Sie sich meine Sammlung nicht entgehen lassen. Ich habe sie im Lauf vieler Jahre zusammengetragen und kann wohl ohne Übertreibung sagen, daß sie ziemlich einmalig sein dürfte.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein, dort zu warten.«
»Einen Augenblick noch«, sagte Strangeways und drückte einen altmodischen Klingelknopf neben der Tür. »Mrs. Belloc, meine Haushälterin, wird Sie mit Keksen und Tee versorgen. Welche Sorte bevorzugen Sie? Ceylon, Darjeeling oder Earl Grey? Ich muss Sie allerdings vorwarnen: Mrs. Belloc ist etwas seltsam. Unter anderem trägt sie ständig ein schwarzes Umschlagtuch über dem Kopf. Sie leistet hervorragende Arbeit, aber es ist schwer, hier in der Gegend Personal zu finden, das es länger mit ihr aushält. Ah, da ist sie ja.« Als die Tür sich öffnete, bekam Paula einen Schrecken. Mrs. Belloc war eine kleine, kräftig gebaute Frau, die ein schwarzes Kleid trug, das ihr bis hinab zu den Knöcheln reichte. Das schwarze Umschlagtuch, von dem Strangeways gesprochen hatte, verbarg den größten Teil ihres Gesichts und ließ nur die an einen Papageienschnabel erinnernde Nase und ein Paar stechend dreinblickender Augen erkennen. Mrs. Belloc hatte eindeutig eine finstere Ausstrahlung. »Sie haben mich gerufen, Sir?«, sagte sie zu ihrem Arbeitgeber. Während Strangeways Mrs. Belloc sagte, sie solle Paula in der Bibliothek den Tee servieren, hörte sie nicht auf, Tweed penetrant anzustarren. Schließlich verließ sie ohne ein weiteres Wort mit Paula den Raum. Nachdem die beiden fort waren, machte Rupert eine übertriebene Verbeugung und eilte, ohne Tweed und seinen Vater auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen den Frauen hinterher. »Verschwenden Sie doch nicht Ihre Zeit in der Bibliothek«, sagte er, als er Paula eingeholt hatte. »Machen Sie lieber einen kleinen Ausritt mit mir. Ich habe auch einen lammfrommen Gaul für Sie.«
»Ich möchte mich aber lieber in der Bibliothek umsehen. Außerdem bringt mir Mrs. Belloc meinen Tee.«
»Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein Buch gelesen«, erwiderte Rupert kokett, während er ihr in die Bibliothek folgte.
»Es würde Ihnen vielleicht ganz gut tun, wenn Sie es einmal probieren würden«, sagte Paula.
»Ach, ich fühle mich auch ohne Bücher recht wohl.« Sie befanden sich in einem großen, kühlen Raum, an dessen Wänden lange Regale voller Bücher standen. An einem der Regale lehnte eine fahrbare Leiter, mit deren Hilfe man an die oberen Fächer gelangen konnte. In der Mitte des Raums standen ein paar Ledersofas, die so aussahen, als hätten sie ihren Platz schon seit Generationen hier. Daneben waren Tischchen zum Ablegen der Bücher. Paula nahm ein Buch über Alexander den Großen aus dem Regal und setzte sich auf eines der Sofas. Rupert ließ sich neben ihr nieder. »Wenn Sie so weiter machen, werden Sie Ihre Zeit mit dieser alten Schreckschraube Mrs. Belloc verbringen müssen. Dabei wäre es mit mir viel lustiger.«
»Das möchte ich bezweifeln.«
»Dann machen Sie doch, was Sie wollen«, sagte Rupert pikiert. »Stecken Sie Ihre Nase nur in ein langweiliges altes Buch! Sie wissen ja nicht, was Ihnen entgeht. Wenn Sie partout nicht reiten wollen, könnten wir ja auch ein paar Vögel schießen.«
»Dieser Vorschlag gefällt mir wiederum ganz und gar nicht.«
»Spielen Sie ruhig die Unnahbare«, sagte er und stand auf. »Ich will niemanden zu seinem Glück zwingen.«
Paula war erleichtert, daß Rupert die Bibliothek endlich verließ und die Tür hinter sich zumachte. Dann bemerkte sie an einem der Spitzbogenfenster eine Bewegung und rannte sofort hin. Draußen stand Harry Butler, der einen Finger auf die Lippen legte. Paula mußte eine Weile mit dem altmodischen Riegel kämpfen, bevor es ihr gelang, das Fenster einen Spaltbreit zu öffnen.
»Was in aller Welt machen denn Sie hier?«
»Ich schleiche auf dem Grundstück herum und sehe zu, daß Tweed nichts passiert. Befehl von Newman. Wir sind mit einer ausziehbaren Leiter, die er im Kofferraum dabeihatte, über die Mauer gestiegen.«
»Sie müssen sich verstecken. Schnell! Die Haushälterin kann mir jeden Augenblick meinen Tee bringen.«
»Heben Sie mir eine Tasse auf!«, sagte Butler und verschwand.
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