Kaltgestellt
Vitalität. »Angesichts all dieser Bedrohungen, die immer mehr an Stärke zunehmen, müssen wir uns anpassen, verändern und neue, revolutionäre Ideen entwickeln«, fuhr Morgenstern fort.
»Ich habe das Gefühl, daß wir uns langsam dem wahren Grund für Ihre Einladung zum Abendessen nähern«, sagte Tweed und nahm einen Schluck von seinem Cointreau. »Sie sind ein Mann mit enormem Gespür. Diese seltene Gabe ist mir an Ihnen schon in Washington aufgefallen.«
»Warum haben Sie eigentlich nicht Howard zum Essen eingeladen?«, fragte Tweed. Morgenstern gegenüber brauchte Tweed nicht vorzugeben, daß er bei einer Versicherung angestellt war. Der amerikanische Außenminister wußte nur zu gut, daß er der Stellvertretende Direktor des SIS und damit nach Howard der zweite Mann war.
»Howard ist ein netter Mensch«, sagte Morgenstern und hielt dann zum ersten Mal in ihrem Gespräch für eine Weile inne, als müßte er seine Worte sorgfältig wählen. »Aber er hat bei weitem nicht die globale Perspektive, über die Sie verfügen, Tweed. Für uns sind Sie eine der Schlüsselfiguren im neuen System.«
»Von was für einem neuen System reden Sie da, Jefferson?«
»Wie ich bereits sagte: Wir müssen revolutionär sein«, sagte Morgenstern und beugte sich über den Tisch. »England und Amerika müssen sich zu einer neuen, viel stärkeren Allianz zusammenschließen. Darüber möchte ich heute Abend mit Ihnen reden.«
»Zusammenschließen?«
»Ja. Auf wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ebene.«
»Bevor Sie mir das näher erläutern, möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen. Ich vermute, daß Sie im Fernsehen die Bilder von dem Bombenanschlag in der Oxford Street gesehen haben.«
»Das habe ich. Entsetzlich. Was für ein schreckliches Verbrechen.«
»Ich glaube, daß die Bombe von Ihren Leuten gelegt wurde.«
»Wie bitte?« Morgenstern setzte sich auf und schien aufrichtig erschüttert zu sein.
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Tweed. Das ist verrückt. Ich kann einfach nicht glauben, daß Sie so etwas auch nur denken können. Solche Dinge tun wir nicht. Warum sollten wir auch, um Himmels willen?«
Tweed, der normalerweise genau erkannte, ob jemand log oder nicht, hatte seinen Gastgeber genau beobachtet. Er hätte schwören können, daß Morgenstern auch tatsächlich das glaubte, was er sagte. Aber er ließ nicht locker. »Wir haben außerdem herausgefunden, daß eine große Anzahl amerikanischer Gangstertypen – darunter polizeibekannte Killer auf verschlungenen Wegen hierher gekommen sind.« Tweed öffnete den Aktenkoffer, den er mitgebracht hatte, und entnahm ihm einen Umschlag mit Fotos, die er vor Morgenstern auf dem Couchtisch ausbreitete. »Das sind die Männer, von denen ich eben gesprochen habe.«
»Die sehen ja aus wie Leute vom Medellin-Drogenkartell«, sagte Morgenstern, nachdem er sich die Bilder angesehen hatte. »Oder von der Mafia. Ich kann mir nur vorstellen, daß Sie einer bewußten Falschinformation aufgesessen sind, Tweed.«
»Dann haben Sie diese Leute also noch nie in Ihrer Botschaft am Grosvenor Square gesehen?«
»Gott bewahre! Natürlich nicht.«
»Darf ich fragen, ob Sie jeden einzelnen Menschen kennen, der in der Botschaft arbeitet?«
»Nein, bei weitem nicht. Warum sollte ich auch? Ich habe mich um die amerikanische Außenpolitik zu kümmern, nicht um Personalangelegenheiten. Wenn ich in der Botschaft bin, verlasse ich nur selten meine Büros im zweiten Stock. Außerdem benutze ich grundsätzlich einen Seiteneingang, allein schon um den Pressefotografen zu entkommen.« Im zweiten Stock? fragte sich Tweed. Bei seinem Besuch in der Botschaft hatte er Morgenstern zusammen mit den zwei Leibwächtern doch im ersten Stock gesehen. Aber dann fiel ihm wieder ein, daß man in Amerika die Stockwerke ja anders zählte. Was dort der zweite Stock war, galt hier in England als der erste. Das, was Morgenstern erzählte, klang also doch plausibel. Abermals hatte Tweed das Gefühl, daß sein Gastgeber die Wahrheit sagte. »Kennen Sie Sharon Mandeville?«, fragte er weiter. »Ja. Sie hat ein Büro auf demselben Stockwerk wie ich. Ich weiß nicht, was ihre genauen Aufgaben sind, aber sie ist eine Freundin der First Lady und hat enge Verbindungen mit dem Weißen Haus. Wissen Sie was, Tweed? Sie würden einen guten Untersuchungsbeamten abgeben.«
»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
»Aber nicht doch«, sagte Morgenstern. »Sie gehören zu den Menschen, die bei mir großen Kredit
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