Kaltgestellt
was ich mache, wobei ich allerdings vergessen habe zu erwähnen, daß ich vor kurzem meinen Job verloren habe. Briscoe hatte etwas getrunken, war aber immer noch bei klarem Verstand. Der Mann ist total verbittert. Er ist fest davon überzeugt, daß Chatel und dessen Frau ermordet wurden. Ein Lastwagen oder ein anderes großes Fahrzeug muss ihren Wagen gerammt und in die Schlucht geschubst haben. Briscoe hat darüber einen Bericht an das FBI geschickt, aber kurz darauf hat man ihn seines Postens enthoben und durch einen anderen Sheriff ersetzt. Sein Bericht ist im Reißwolf verschwunden.«
»Das ist ja ein Ding!«
»Es kommt noch dicker. Ein paar Wochen nach seiner Zwangspensionierung hat Briscoe ein paar Gläser Bier mit einem jungen Hilfssheriff getrunken, der zusammen mit dem neuen Sheriff ins Amt gekommen ist. Als Briscoe den ChatelFall erwähnt hat, ist der Junge ziemlich gesprächig geworden. Sein Boss soll ihm erzählt haben, daß der Fall für immer zu den Akten gelegt sei. Sollte trotzdem noch einmal jemand daran rühren, werde in Washington jemand namens Charlie dafür sorgen, daß er und der Hilfssheriff für immer verschwinden würden. Das Ganze riecht nach einer riesigen Vertuschungsaktion. So – mehr habe ich im Augenblick nicht für Sie.«
»Das ist mehr als genug, Cord. Ich bin Ihnen sehr dankbar. Und schnell waren Sie auch.«
»Wenn man mir einen Job gibt, dann erledige ich ihn auch.« Ohne ein weiteres Wort unterbrach der Amerikaner die Verbindung. Marler lehnte sich in Tweeds Stuhl zurück und erzählte den anderen, was Dillon gesagt hatte. Tweed hockte sich auf die Tischkante und sah Marler mit verschränkten Armen an.
»Wieder dieser Charlie«, murmelte er leise. »Ich weiß, daß Sie Ihr Bestes geben, Monica, aber Sie müssen unbedingt herausfinden, wer Charlie ist.«
17
Als das Abendessen in dem mit teuren Antiquitäten möblierten Salon etwa zur Hälfte vorbei war, kam Jefferson Morgenstern auf das Thema zu sprechen, das ihm am Herzen lag. Zuvor, als er und Tweed in einem anderen Raum einen Aperitif zu sich genommen hatten, hatten sie nur über ihr letztes Zusammentreffen in Washington geplaudert. Der amerikanische Außenminister war einen Meter zweiundsiebzig groß und Mitte fünfzig. Er war glatt rasiert und hatte graue Haare und ein längliches Gesicht mit einer großen Nase, auf der eine randlose Brille thronte. Seine Persönlichkeit strahlte eine gesunde Selbstsicherheit aus, ohne arrogant zu wirken, und er sprach rasch mit einer tiefen, angenehmen Stimme. Morgenstern strotzte vor Energie, und sein Verstand war so flink und lebendig wie Quecksilber. Tweed hielt ihn für einen der intelligentesten Männer, die er je kennen gelernt hatte. Morgenstern, dem man eine Vorliebe für schöne und intelligente Frauen nachsagte, hatte ein lebhafte Mimik, die manchmal ernst und manchmal liebenswürdig wirkte. International hatte er den Ruf eines charmanten Gentlemans und hochbegabten Diplomaten. Trotz seines langen Aufenthalts in den Vereinigten Staaten wirkte er noch sehr europäisch. »Wissen Sie, Tweed«, begann er, »die Welt um uns verändert sich tagtäglich, und wenn wir in ihr überleben wollen, müssen auch wir uns ändern.«
»Haben Sie da etwa eine konkrete Veränderung im Auge, Jefferson?« Tweed hatte gerade sein viertes Glas Wein leer getrunken. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Kellner neben ihm auf, goß nach und verschwand wieder. Was den Weinkonsum anlangte, stand Tweed seinem Gastgeber in nichts nach. Tweeds Stoffwechsel war ein Phänomen. Obwohl er oft monatelang so gut wie überhaupt nichts trank, konnte er, wenn es sein mußte, große Mengen Alkohol vertragen, ohne daß es ihn im Geringsten beeinträchtigte. »Zunächst einmal finde ich, daß wir das traditionell gute Verhältnis unserer beiden Länder zueinander beträchtlich ausbauen sollten. Und zwar auf allen Gebieten – wirtschaftlich, sozial und politisch.«
»Warum?«
»Sie sind immer noch der Alte, Tweed. Sie zögern nie, die Kernfrage zu stellen. Das ist – zusammen mit Ihrer globalen Sichtweise – eines von den vielen Dingen, die ich an Ihnen mag.«
»Warum also?«, sagte Tweed.
»Aus unserer Sicht – und aus der Sicht der ganzen Welt – sind wir Amerikaner die führende Macht auf diesem Globus. Ganz unter uns gesagt, ich persönlich glaube allerdings, daß wir den Gipfel unserer Macht schon überschritten haben. Im Pazifikraum haben wir es jetzt mit China zu tun, das ständig daran arbeitet,
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