KALTHERZ
transportieren.“
„Können Sie mir nicht einfach sagen, was Ihnen darauf au f gefallen ist?“
„Nein, ich bin mir ja nicht sicher, ob ich es richtig inte r pretiere. Sie müssen es sich selbst anschauen.“
Katja willigte schließlich ein, vor der Kneipenbegehung auf einen Sprung bei ihm vorbeizukommen.
Es war kurz vor 18 Uhr, als sie bei Gerd Reimers a n kam. Er drückte auf den Türöffner und Katja stieg durch ein gepflegtes Treppenhaus in den dritten Stock. Die hö l zernen Treppenstufen knarrten unter ihren Füßen, es roch nach Bohnerwachs, und die Wohnungstüren waren mit d e korativen Glaseinsätzen und Türknäufen aus Messing au s gestattet. Er lehnte im Türrahmen und lächelte sie an. Seine Wohnung gefiel ihr auf Anhieb. Auch innen bestand der Fußboden aus alten Holzdielen. Sie waren abgeschliffen und lasiert worden und schufen mit ihrem warmen Honi g ton einen schönen Kontrast zu den teils hellen, modernen Möbeln und einigen antiken Stücken. Es gab jede Menge Bücherregale und einige bemerken s werte Bilder. Eine helle Couch, die urgemü t lich aussah, stand mitten in dem großen Wohnraum. Auf einem Tisch davor stapelten sich einige Bücher und Zei t schriften.
„Sie lieben Bücher?“, fragte Katja.
„Ich habe Betriebswirtschaft studiert. Aber eigentlich hätten mich so viele andere Themen damals mehr intere s siert. Meine Eltern haben darauf gedrungen, dass ich etwas Handfestes studiere. Wie man sieht, hat das nicht viel g e holfen.“ Er lachte. „Jetzt lese ich eben viel und hole das nach, wozu ich früher keine Zeit hatte.“
„Welche Themen interessieren Sie denn besonders?“
„Reiseberichte, Expeditionen, Malerei. Aber Sie wollen sich nicht mit den verpassten Möglichkeiten meiner Jugend befassen oder?“ Er l ä chelte sie an.
„Wie wär’s mit einem Latte Macchiato?“
Katja lehnte ab. „Heute Abend steht noch ein Termin an. Ich treffe mich nachher mit meinem Kollegen. Wo ist denn das Bild, das Sie mir zeigen wollten?“
Er führte sie in den nächsten Raum. Es war das Schla f zimmer. Katja wollte sich umdrehen und wieder hinau s gehen, bekämpfte dann aber dieses G e fühl. Sie wusste nicht viel, eigentlich gar nichts über Gerd Reimers. Aber so plump konnte sie ihn sich beim besten Willen nicht vo r stellen, dass er versuchte, sie unter einem Vorwand in sein Schla f zimmer zu verschleppen.
„Das Bild habe ich gemeint.“ Er zeigte auf ein in der Tat relativ großes Bild, das seitlich über seinem Bett hing. Katja zögerte einen Moment, ging dann aber etwas näher an das Bild heran. Es sah aus wie ein sturmgepeitschter Baum in der Nacht. Die Zweige waren mit kräftigen Pinse l strichen gemalt. Sie krümmten sich unter der Wucht des Sturms. Es wirkte bedrohlich.
„Und das hat Lothar Meyer gemalt?“
Gerd Reimers stand neben ihr.
„Ja, es ist viel dunkler und intensiver gemalt als seine anderen Bilder. Ich zeige Ihnen gleich im Flur noch einige von ihm.“
„Es ist wirklich beeindruckend. Aber Sie haben gesagt, es sei Ihnen etwas au f gefallen.“ Sie schaute Gerd Reimers fragend an.
„Gehen Sie mal ein Stück zurück.“ Er nahm Katja am Arm und zog sie einige Schritte zurück, bis sie fast an der Tür des Schla f zimmers standen.
„Und jetzt sehen Sie sich das Bild noch mal ganz genau an. Schauen Sie auf die Zweige, aber versuchen Sie, die Zweige zu vergessen. Können Sie da ein anderes Bild e r kennen?“
Katja starrte auf das Bild, aber es gelang ihr nicht, die Zweige ausz u blenden. Gerd Reimers half ihr.
„Da, zwischen den oberen und unteren Zweigen, da hat er ein Gesicht gemalt. Mir ist es auch erst gestern au f gefallen. Ich weiß nicht, ob es eine Sinnestäuschung ist, aber ich kann mir nicht helfen, es sieht wie das verzerrte Gesicht von Magnus Knab aus.“
Katja schaute ihn ungläubig an.
„Haben Sie schon mal von Doppelbildern gehört? Dali hat sie manchmal gemalt. Ich hoffe, Sie halten mich nicht für verrückt. Ich will damit nicht sagen, dass Lothar das Kaliber eines Dali hatte, aber ich sehe auf diesem Bild ein zweites Bild.“
Katja betrachtete das Bild intensiv. Plötzlich wusste sie, was Gerd Reimers meinte. Sie bekam eine Gänsehaut. Man hätte wirklich meinen können, das wutverzerrte Gesicht von Magnus Knab schaute einen an. Oder war das nur ein skurriler Zufall? War Lothar Meyer fähig gewesen, ein zwe i tes Bild oder sogar eine Botschaft in seinem eigen t lichen Bild zu verstecken?
„Das ist doch verrückt, oder?“ Sie
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