Kaltherzig
einfach weg, als hätte es ihnen nie etwas bedeutet.«
Von außen betrachtet, aus der Sicht von Menschen, die sich Sorgen darüber machen müssen, wie sie ihren Hauskredit und ihre Stromrechnung bezahlen, erscheint die Welt der Reichen einfach und wunderbar. Aber jedes Leben hat seinen Preis und seine Fallstricke. In einem Leben, in dem es keine Beschränkungen gibt, wird es zur Herausforderung, sein wahres Ich zu finden. Wenn alles mühelos zu bekommen ist, fällt es schwer, den Dingen einen Wert zuzuordnen. Und wenn nichts einen echten Wert hat, dann gibt es kein Maß für Befriedigung, Leistung oder Zufriedenheit.
Das war Bennett Walkers Welt. Er hatte alles, was man sich nur wünschen konnte, und doch war er nie zufrieden. Er hatte sich alles genommen, was man nehmen kann - außer vielleicht ein Menschenleben. Und warum sollte er in einer Welt, in der nichts etwas bedeutete, nicht auch noch das nehmen, nur um zu sehen, wie es sein könnte, Gott zu spielen.
Bennett war immer überzeugt gewesen, die Welt müsste nach seinen Vorstellungen funktionieren. Was, wenn Irina beschlossen hatte, eine störendes Element zu sein? Was, wenn sie dachte, sie könnte erreichen, was sie wollte, indem sie Bennett unter Druck setzte? Wenn sie ihm erzählt hatte, dass sie schwanger war, und erwartete, von ihm geheiratet zu werden?
Ich konnte mir den Zorn vorstellen, den das bei Bennett Walker auslösen würde.
»Hast du befürchtet, in dieser Nacht könnte etwas passieren, Lisbeth?«, fragte ich. »Hast du dich deshalb so bemüht, Irina davon abzuhalten, dass sie auf diese Party danach ging?«
»Ich bin wirklich müde«, flüsterte sie. »Ich möchte jetzt schlafen.«
Ich überlegte, ob ich weiter in sie dringen sollte, entschied mich aber dagegen. Ein Sturmangriff auf ihre Emotionen war ein ganz guter Anfang. Schlafentzug würde ich mir für später aufheben.
Ich gestattete mir keine Schuldgefühle. Lisbeth lebte, Irina nicht. Lisbeth würde sich wieder erholen. Für Irina konnte ich nichts weiter tun, als sie zu rächen. Wenn ich dazu das Mädchen weiter manipulieren, täuschen und unter Druck setzen musste, dann sollte es so sein.
»Eine letzte Frage«, sagte ich. »Hast du je gesehen, dass Bennett Walker - oder einer von den anderen - Irina körperlich verletzt hat?«
Sie antwortete nicht. Entweder sie tat nur so, oder sie war tatsächlich eingeschlafen. Es spielte keine Rolle. Ich brauchte Lisbeth Perkins nicht, um zu wissen, dass Bennett Walker fähig war, einer Frau wehzutun.
Ich wusste es aus erster Hand.
45
»Ich wusste gleich, dass er nichts Gutes im Schilde führte«, sagte die Frau im Wachhäuschen am Tor. J. Jones. Sie schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf, während sie mit zusammengekniffenen Augen das Foto von Bennett Walker betrachtete. Sie hatte den Umfang eines kleinen Eisschranks.
»Wieso das?«, fragte Landry.
»Weil derart gut aussehende Männer immer irgendwas im Schilde führen«, sagte sie und sah ihn an, als wäre er ein wenig schwer von Begriff. »Und er fährt sonst nie diesen Wagen. Was tut er in diesem Wagen? Er macht immer auf Großkotz und kutschiert in seinem Porsche oder seinem dies und das durch die Gegend. Er fährt keinen Volkswagen. Er und dieser dunkelhaarige Ausländer. Oho! Ich muss sagen, den sehe ich mir wirklich gern an.«
»Sind Sie sicher, dass er es war?«, fragte Weiss und tippte mit seinem Kugelschreiber an Bennett Walkers Kopf. »Und sind Sie sicher, dass es Sonntagabend war?«
»Ob ich mir sicher bin?«, gab sie zurück, beleidigt durch seine offenkundige Dummheit. »Ob ich mir sicher bin? Das ist mein Job, dafür werde ich bezahlt. Sind Sie sicher, dass Sie ein Detective sind?«
»Das muss ich mich hin und wieder selbst fragen, Miss Jones«, sagte Landry, ohne eine Miene zu verziehen.
Ihr Lachen brach wie Kanonendonner aus ihr heraus. Die mächtige Brust wogte auf und ab wie eine aufgewühlte See. »Sie haben Humor«, verkündete sie.
»Nein«, sagte Landry. »Eigentlich nicht.«
Sie wandte sich wieder an Weiss. »Ich arbeite hier mitten in der Nacht, mein Guter. Wenn jemand kommt oder geht, dann bemerke ich es. Das geht hier als Unterhaltung durch. Denken Sie, ich sitz hier nur die ganze Nacht und lackier mir die Nägel? Denken Sie, ich schau nur Filme an?«
»Waren Sie Samstagabend hier?«, drängte Landry weiter.
»Nein, am Samstag hatte ich frei. Ich hab schließlich auch noch ein Privatleben. Ich sitz nicht mein ganzes Leben lang wie ein Kalb in
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