Kaltherzig
aber unbedeckt, damit alle Welt es sehen konnte. Keine Augenklappe, keine Brille, die es versteckt hätte. Der alte Priester trug es zur Schau, als wäre er stolz darauf, als wäre es ein hässliches Ehrenabzeichen. Eine Narbe verlief durch die Augenbraue darüber.
Weiss stellte ihn vor. »Pater Chernoff, das ist Detective Landry, der ebenfalls mit dieser Ermittlung befasst ist.«
Landry ließ ihm die Bemerkung durchgehen. Er musste nicht vor einem heiligen Mann seinen Schwanz auf den Tisch legen, nur um Weiss in die Schranken zu weisen.
Er streckte dem Priester die Hand entgegen, der einen ziemlich festen Händedruck dafür hatte, dass er in den Siebzigern sein musste. Seine Finger waren knotig und krumm wie die Äste eines alten, windgepeitschten Baums.
»Danke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten, Pater Chernoff. Leider muss es zu Beginn einer Mordermittlung immer sehr schnell gehen.«
Der alte Priester sah ihn hochmütig an, als sie Platz nahmen. Landry musste an seine katholische Schule zurückdenken, wo er für irgendwelche Regelverstöße viel Zeit auf den Knien verbracht und Ave Marias aufgesagt hatte, während Pater Arnaud ihn böse anfunkelte.
»Das Mädchen, das gestorben ist, war Russin.« Er hatte einen starken Akzent, aber sein Englisch war flüssig.
»Ja. Irina Markova. Sie hat auf einem Pferdehof in der Nähe von Wellington gearbeitet. Kennen Sie irgendwelche Markovas in der Gegend? Wenn sie hier Angehörige hat, würden wir gern Kontakt mit ihnen aufnehmen.«
Der Priester ignorierte die Frage.
»Der hier«, sagte er und neigte den Kopf in Richtung Weiss, »hat mir das Band von dem Anrufbeantworter vorgespielt.«
»Ja. Können Sie es für uns übersetzen?«
Wieder ignorierte der Priester die Frage, als interessiere ihn Landrys Tagesordnung nicht im Geringsten. »Dieses Mädchen, war es eine Kriminelle?«
»Meines Wissens nicht. Wieso? Was sagt der Mann auf dem Band?«
»Er heißt Alexi, richtig? Sagt der hier.« Wieder neigte er den Kopf in Richtung Weiss, ohne ihn auch nur anzusehen.
»Wir vermuten es, ja. Wieso haben Sie gefragt, ob das Mädchen eine Kriminelle war?«
»Spielen Sie das Band bitte noch einmal.«
Weiss drückte auf den Knopf, und die russische Stimme sprudelte in schnellem Stakkato los.
»Er sagt: ›Warum hast du mich nicht angerufen, verdammt noch mal? Bist du jetzt zu gut für mich, mit deinen schicken, smarten amerikanischen Männern? Vergiss nicht, wer du bist, Irina. Vergiss nicht, wem du gehörst. Ich habe einen Job für dich. Er wird sich lohnen, du gieriges kleines Biest.‹«
»Erkennen Sie die Stimme?«, fragte Landry.
»Viele russische Männer heißen Alexi«, sagte der Priester.
»Haben Sie eine Idee, wer dieser hier sein könnte?«
Der Priester sah sich im Raum um, als befürchtete er, einer oder mehrere dieser Alexis könnten sich irgendwo in einer Ecke verstecken und lauschen.
»Sind Sie mit dem organisierten russischen Verbrechen vertraut, Detective Landry?«
»Ich weiß davon.«
»Dann brauche ich Ihnen nicht zu sagen, dass es sich um äußerst skrupellose und gewalttätige Männer handelt. Sie sind eine Schande für unsere Gemeinde. Nicht alle Russen sind Verbrecher.«
»Aber Sie haben mich gefragt, ob ich glaube, Irina Markova sei eine Verbrecherin gewesen.«
»Es gibt da einen Mann, einen sehr gefährlichen Mann. Er heißt Alexi Kulak. Er ist ein bösartiger Wolf. Das könnte seine Stimme sein.«
»Kennen Sie ihn? Wissen Sie, wo wir ihn finden können?«
»Ich weiß über ihn Bescheid. Er ist die Sorte Mann, der glaubt, man könne Menschen ›besitzen‹ und mit ihnen tun, was man will.«
Die Bitternis in der Stimme des Alten hörte sich an, als hätte sie einen persönlichen Hintergrund.
»War er das mit Ihrem Auge?«, fragte Landry.
Der Priester schniefte. »Nein. Das war der KGB. Sie haben mir das Auge herausgebrannt, weil ich nicht den Zeugen für sie spielen wollte. Ich habe einen Mann beobachtet, der zwei Laibe Brot für seine Familie stahl. Es war kurz nach dem Krieg. Die Leute haben gehungert.
In meinem Russland haben wir nur den KGB gefürchtet. Es gab keine Kriminellen. Jetzt gibt es viele Kriminelle und keinen KGB. Es ist nicht besser geworden.«
»Kennen Sie jemanden, der uns vielleicht helfen könnte, Alexi Kulak zu finden?«, fragte Landry.
»Ich kenne jemanden«, sagte der Priester. »Aber er wird nicht mit Ihnen sprechen.«
»Wenn er Angst hat, können wir es über das Telefon machen«, sagte Weiss. »Wir
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