Kaltherzig
Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich muss wirklich fahren.«
Er trat einen Schritt zur Seite, damit ich die Wagentür öffnen konnte.
»Darf ich Sie anrufen?«, fragte er.
Ich lachte freudlos. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das wollen. Ich war nicht die angenehmste Gesellschaft.«
»Der Tod einer Freundin schafft keine angenehmen Umstände. Trotzdem... Es ändert nichts daran, dass Sie eine schöne, vielschichtige, interessante Frau sind, und ich würde Sie gerne näher kennenlernen.«
»Hm... Sie sind eine tapfere Seele«, sagte ich und sah ihn an. In der schwarz-weißen Film-Noir-Beleuchtung des Parkplatzes war er pure Schönheit, und ich spürte die sexuelle Energie, die er ausstrahlte.
»Das Glück ist den Tapferen hold«, sagte er, beugte sich vor und küsste mich sanft und kurz. Gerade lange genug, dass ich überlegte, ob ich mehr wollte.
»Ihr seid ungezogen!«
Die Stimme kam von der anderen Seite meines Wagens. Eine Person von unbestimmbarem Geschlecht stand am Heck des Wagens, der neben meinem geparkt war. Eine Frau, der Stimme nach. Sie trug eine Art schwarzes Ganzkörper-Trikot, das nur ihre Gesichtszüge sehen ließ, Gesichtszüge, die bemalt waren, wie die einer Figur aus dem Cirque du Soleil. Auf ihrem Kopf saß ein spitz zulaufender Hut mit einem Bommel am Ende.
»Ihr seid sehr ungezogen«, sagte sie. »Wie die anderen. Sehr ungezogen!«
Barbaro machte ein paar drohende Schritte auf sie zu. »Hau ab! Los! Verschwinde, bevor ich die Polizei rufe und sie dich verhaften, du Spinnerin.«
Die Frau machte einen Knicks und lief auf hohen Plateausohlen ungelenk davon. Sie kroch durch das Tor, das auf das Ausbaugelände des Palm Beach Polo Clubs führte, und war verschwunden.
Ich drehte mich zu Barbaro um. »Was zum Teufel war das denn?«
»Die Irre«, sagte er. »Haben Sie die Irre noch nie gesehen?«
»Nein. Ich komme nicht viel von der Farm runter.«
»Sie treibt sich in der Stadt herum. Ich habe sie schon öfter hier gesehen. Nicht ganz richtig im Kopf.«
»Das Gefühl hatte ich auch.«
»Kümmern Sie sich nicht um sie«, sagte er. »Fahren Sie nach Hause und versuchen Sie, ein wenig zu schlafen.«
Er streckte die Hand aus und berührte mich sanft an der Wange.
Ich setzte mich hinter das Lenkrad des BMW, nannte ihm meine Telefonnummer und fuhr los. Worauf, so fragte ich mich, hatte ich mich da gerade eingelassen?
Ich dachte an Barbaros Kuss und fühlte mich schuldig. Ich dachte an Landry und diesen Augenblick draußen vor der Scheune, als ich gern Schutz bei ihm gesucht hätte und es nicht tat. Ich fühlte mich noch schuldiger. Nicht dass ich Grund dazu hatte. Ich hatte meine Beziehung mit Landry beendet. Er wollte etwas von mir, das ich ihm nicht geben konnte, nicht geben würde. Ich hatte ihm einen Gefallen getan, ob er es so sehen wollte oder nicht.
Vielleicht war ein Techtelmechtel mit einem heißen Polostar ein Weg, ihm diesen Punkt deutlich zu machen.
Lies nicht zu viel hinein, Elena. Da ich selbst beabsichtigte, meine neu gewonnene Beziehung zu Barbaro für Nachforschungen in diesem Fall zu nutzen, konnte er durchaus dieselbe Absicht haben. Er war in der Nacht, in der Irina verschwand, dabei gewesen, genau wie Bennett Walker und Barbaros patrón, das Geburtstagskind Jim Brody. Vielleicht hatte er vor, mich von seinen reichen Freunden abzulenken.
Ich war mir sicher, dass Juan Barbaro unter den reichen Frauen und hinreißenden Mädchen von Wellington freie Auswahl hatte. Wieso sollte er mich aussuchen?
In Seans Haus brannte kein Licht, worüber ich froh war. Sosehr ich Sean mochte, ich wollte heute mit niemandem mehr reden.
Ich ging in das Gästehaus und machte nicht einmal Licht. Der Mond war beinahe voll und spendete genügend Helligkeit, dass ich den Weg zu meinem Schlafzimmer fand. Ich ging ins Bad, schaltete das Licht an und ließ die Dusche laufen. Der scharfe Geruch von Anspannung und kaltem Zigarettenrauch haftete wie ein Film auf meiner Haut.
Ich beugte mich über das Waschbecken und putzte mir die Zähne. Als ich fertig war und aufblickte, war ich nicht allein.
Ein Mann stand in der Tür hinter mir. Einen Augenblick lang starrte ich ihn nur verblüfft im Spiegel an, dann fuhr ich herum. Er sah etwas ramponiert aus, trug jedoch einen Anzug, und das Weiße in seinen Augen war gerötet.
»Sie sind Elena Estes.« Er hatte einen Akzent. Einen russischen.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, fragte ich.
»Mein Name ist Kulak. Alexi Kulak.«
15
Magda’s war
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