Kaltherzig
wollen zum jetzigen Zeitpunkt nichts anderes, als diesen Alexi ausfindig machen.«
Der alte Priester erhob sich von seinem Stuhl. Er stand kerzengerade da, eine beeindruckende Gestalt in seinem schwarzen Rock und dem Priesterkragen.
»Er wird nicht mit Ihnen sprechen«, wiederholte er, »weil Alexi Kulak ihm die Zunge abgeschnitten hat.«
14
In meiner Fantasie war ich auf diesen Moment immer vorbereitet gewesen, hatte mich in der Oberhand gesehen, genau gewusst, was ich sagen musste. Ich hatte mich stark und beherrscht gesehen, unbeeindruckt von seinem Anblick und vor Selbstsicherheit strotzend. Und Bennett Walker war immer derjenige, den es überraschend traf, der durcheinander und perplex war und der kein Wort herausbrachte. Aber so spielte es sich nicht ab.
Er kam zielgerichtet durch die Tür, seine ganze Aufmerksamkeit galt seinem Freund und Alibi Juan Barbaro. Zeit und Lebensweise hatten ein paar Falten in sein Gesicht gemeißelt, aber auf eine Weise, die Frauen attraktiv fanden. Sein Haar war noch voll, es fiel ihm dunkel und gewellt in die Augen. Er besaß noch einen Sportlerkörper, hochgewachsen, breitschultrig, schmale Hüften. Er war tadellos gekleidet - weiße Hose, schwarzes Sakko und schwarz gestreiftes Hemd mit offenem Kragen. Der flotte Spross aus reichem Haus, gerade genug zerzaust, um sexy zu sein.
Er warf mir einen Blick zu, ohne einen Funken von Erkennen in den Augen.
Ich unterschied mich stark von dem Mädchen, das er gekannt hatte. Verschwunden waren die lange, schwarze Mähne, das unternehmungslustige Lächeln, das Glitzern der Begeisterung in den Augen. Ich hatte gesprüht vor Lebensenergie, geglüht vor erster Liebe, und ich war unschuldig gewesen - nicht im Wortsinn, aber dem Geiste nach.
Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war eine ganze Menge passiert. Dennoch
war ein Teil von mir gekränkt, weil er mich nicht sofort erkannt hatte, weil er nicht wie angewurzelt stehen geblieben war, erbleicht war, zu stammeln begonnen hatte. War ich so unwichtig für ihn gewesen, dass er sich diesen Augenblick nie vorgestellt hatte? Aus den Augen, aus dem Sinn. Eine unangenehme Erinnerung, die man am besten in der Vergangenheit ruhen ließ.
»Juan, mein Guter«, sagte er, packte Barbaros Hand und schüttelte sie wie ein Politiker. »Kann ich dich einen Augenblick...«
»Wo sind deine Manieren, mein Freund?«, fragte Barbaro. »Ich habe eine hübsche Dame am Arm, falls du es nicht bemerkt hast. Warum sollte ich sie auch nur für einen Moment verlassen, um mich jemandem wie dir zu widmen?«
»Tut mir leid«, sagte Walker, allerdings nicht zu mir. »Aber ich...«
Barbaro ignorierte ihn. »Elena, das ist mein äußerst unhöflicher Freund Bennett Walker. Bennett, meine entzückende Begleiterin für diesen Abend, Elena Estes.«
Jetzt sah er mich. Er sah mich zum ersten Mal an und erkannte mich. Da war er, der verblüffte, vorsichtige Blick, den ich mir gewünscht hatte.
»Ich habe dich nie um Worte verlegen erlebt, Bennett«, sagte ich scheinbar ruhig.
»Elena.«
Er wünschte, der Boden würde sich auftun und mich verschlingen. Er hätte gern kehrtgemacht und wäre zur Tür hinausgegangen. Das Ganze noch einmal, aber ohne die Frau, die versucht hatte, ihn ins Gefängnis zu bringen.
»Ihr kennt euch?«, fragte Barbaro. »Eigentlich sollte es mich ja nicht überraschen. Gibt es eine schöne Frau im
Umkreis von fünfzig Kilometern, die du nicht kennst, mein Freund?«
»Oh, ich kenne Bennett noch aus der Zeit, als es so war«, sagte ich und genoss die Besorgnis in seinen Augen. »Jedenfalls dachte ich es.«
»Elena«, sagte er wieder. »Es ist lange her. Wie geht es dir?«
»Ist das alles, was dir einfällt?«
»Im Augenblick ja.«
»Wenn ich daran denke, wie schlagfertig du einmal warst.« Ich sah Barbaro an. »Ben konnte sich früher aus allem herausreden. War es nicht so, Ben?«
Er sagte nichts.
»Um deine Frage zu beantworten: Ich bin fix und fertig. Eine Freundin von mir wurde heute Morgen ermordet aufgefunden. Stell dir meine Überraschung vor, als ich entdeckte, dass sie in der Nacht, in der sie verschwand, mit dir zusammen gesehen wurde.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte er. Er war jetzt wütend. Ich merkte es an der Art, wie er den Kopf neigte, den Kiefer vorschob, meinen Blick mied.
»Tja, manche Dinge ändern sich eben nie«, bemerkte ich.
»Wenn du uns einen Augenblick entschuldigen würdest, Elena. Ich muss ein paar Worte mit
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