Kaltherzig
Pingpongball. Wenn ich lange genug darüber nachdachte, würde ich erkennen, wie erschöpft ich war, und ich würde anfangen, darüber zu grübeln, was für ein Durcheinander mein Leben bis heute gewesen war, und dass es nicht danach aussah, als sollte es besser werden. Und von da an würde alles erst richtig den Bach runtergehen.
Stattdessen nahm ich die Sandwich-Tüte und stellte sie auf die Motorhaube, damit der Wagen später nicht so scheußlich nach kaltem, nicht gegessenem Fast Food stinken würde, wenn ich zurückkam.
Ich sah mich auf dem Parkplatz um, schlenderte lässig umher und starrte angestrengt in die Nacht, wo der Schein der Natriumdampflampe endete und der Parkplatz Gras und Bäumen Platz machte. Obwohl ich das unheimliche Gefühl hatte, dass mich Augen anstarrten, sah ich niemanden. Vielleicht später.
Während ich mich dem Eingang des Clubs näherte, zog ich ein Foto von Irina und Lisbeth aus meinem Handtäschchen und ging zum Unterstand der Parkplatz-Boys. Der
Junge, der dort Dienst tat, war groß und schlaksig und sah aus wie eine Gans mit Akne. Beim Anblick meiner geschwollenen Lippe riss er die Augen auf.
»Du solltest erst mal den anderen sehen«, sagte ich.
»Hä?«
Die Zukunft Amerikas.
»Hast du Samstagabend hier gearbeitet?«
»Nein.«
»Kennst du jemanden, der Samstagabend gearbeitet hat?«
»Ja...«
Er machte eine so lange Pause, dass ich schon glaubte, er sei in eine Art Starre verfallen.
»... Jeff.«
Jeff blickte auf, während er um einen weißen Lexus herumkam und sein Trinkgeld in die Tasche seiner weiten schwarzen Hose stopfte.
»Jeff hat was?«, fragte er.
»Am Samstagabend gearbeitet«, sagte ich.
Er warf seinem Freund einen Blick zu, als hätte der ihn gerade beim Aufsichtslehrer verpetzt. Der Bursche war einen Kopf kleiner als der andere und hatte orangefarbenes Haar, das steil nach oben stand.
»Ja«, sagte er widerstrebend, als hätte er mich viel lieber belogen. Die kleine Ratte.
»Hast du dieses Mädchen hier gesehen?«, fragte ich. Ich klappte Lisbeths Hälfte des Bildes zurück und tippte auf das Gesicht von Irina.
Er sah es kaum an. »Nein, ich glaube nicht.«
»Vielleicht solltest du dir das Bild noch mal ansehen«, schlug ich vor. »Länger als eine Nanosekunde.«
Er warf noch einen Blick darauf. »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
»Du weißt nicht?«, sagte ich in strengem Ton. »Bist du schwul?«
Er sah mir zum ersten Mal in die Augen, schockiert über meine Vermutung, zumal sein Gefolgsmann lachte. »Nein!«
Ich hielt das Bild in die Höhe. »Ein Mädchen mit diesem Aussehen kommt aufreizend gekleidet hier angestöckelt, es riecht nach mehr Geld, als du in deinem ganzen Leben verdienen wirst, und du weißt nicht, ob du es gesehen hast?«
»Wir waren sehr beschäftigt«, sagte er und wich meinem Blick aus. »Irgend so ein reicher Typ hat Geburtstag gefeiert.«
»Sie kam spät nachts aus dieser Tür. Die Party löste sich bereits auf, nur noch der harte Kern war übrig.«
Er wand sich wie ein Kind, das der bösen Alten in der Nachbarschaft ein Fenster eingeworfen hat und erwischt wurde.
»Weißt du, warum ich dich das frage?«
Ein schwarzer 7er BMW fuhr auf den Parkplatz.
Jeff wollte darauf zugehen. »Ich muss arbeiten.«
»Das ist meiner!«, protestierte sein Kumpel.
»Das ist seiner«, sagte ich. »Du kannst nicht alles für dich behalten, Jeffrey.«
Er hätte gern mit den Fingern geschnippt und wäre unsichtbar geworden. Ich versuchte es noch einmal.
»Weißt du, warum ich dich frage, ob du dieses Mädchen am Samstagabend gesehen hast?« Ich wartete nicht auf eine weitere dämliche Antwort. »Weil es tot ist, Jeff. Es kam am Samstag hierher und hat sich amüsiert. Und dann
ist es von hier aufgebrochen, und jemand hat es irgendwohin gebracht, erwürgt und die Leiche in einen Kanal geworfen, damit sie verfault und von einem Alligator gefressen wird.«
Der Junge machte ein angewidertes Gesicht. »Igitt. Das ist ja krank.«
»Ja. Kehrt deine Erinnerung wieder? Hast du sie Samstagabend hier gesehen?«
Er betrachtete das Foto, dann blickte er stirnrunzelnd zur Seite. »Nein«, sagte er. »Ich hab sie nicht gesehen.«
Ein Porsche fuhr auf den Parkplatz. »Ich muss gehen«, sagte er und schoss los wie ein ängstliches Pferd.
Ich sah ihm nach und stellte mir vor, wie er Samstagabend hier gearbeitet hatte. Viel Betrieb, reiche Leute kommen und gehen. Fette Trinkgelder. Jemand steckt ihm ein bisschen Extrageld zu, damit er sein Gedächtnis
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