Kaltherzig
Nacht.«
Sie machte einen Knicks, dann sauste sie los, in Richtung des Tors zum Neubaugebiet des Polo Clubs. Sie war erstaunlich schnell für diese klobigen Schuhe mit ihren dicken Sohlen. Ich folgte ihr in einiger Entfernung, weniger daran interessiert, sie einzuholen, als zu sehen, wohin sie ging.
Ich wollte nicht, dass sie sich vor mir fürchtete. Wer konnte schon wissen, welche Informationen sie möglicherweise zusammen mit den Grillen in ihrem Kopf eingeschlossen hatte? Ich kletterte durch das Tor und fing an, hinter ihr herzutraben.
Sie lief, die Ellbogen fest an den Körper gedrückt, während die Unterarme auf und ab schlugen, als wäre sie ein seltsamer, verwundeter Vogel, der abzuheben versuchte. Sie bog in eine Sackgasse, die von Wohnungen im preisgünstigeren
Bereich gesäumt war - wobei preisgünstiger bedeutete, dass eine Zweizimmer-Wohnung mit Bad schon für 3500 Dollar im Monat zu mieten war.
Als ich über den Rasen abkürzen wollte, blieb ich mit dem Zeh meines entzückenden Ballettschühchens hängen und fiel vornüber auf Hände und Knie. Ich rappelte mich wieder auf und sah mich um, aber Prinzessin Cindy Lullabell war nirgendwo zu sehen.
Verdammt.
Ich streifte meinen Schuh wieder über und lief die Sackgasse entlang bis zu dem Punkt, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Dort gab es eine Reihe von Schuppen mit Garagentoren, alle geschlossen. Tropische Bäume, Bananenstauden und Riesenfarne bildeten einen dunklen Korridor entlang des hintersten Appartementgebäudes.
Ich hatte keine Taschenlampe dabei und wäre selbst mit einer nicht geneigt gewesen, mich dort hineinzuwagen. Das Potenzial für eine ungute Überraschung war zu groß. Die üppige Vegetation war ein Paradies für Ratten und Mäuse. Ratten und Mäuse locken Schlangen an. Hinter dem Dickicht lag ein Kanal. Kanäle locken Alligatoren an.
In meinem Kopf blitzte das Bild auf, wie sich der Alligator mit Irinas leblosem Körper im Maul im Wasser wälzte.
Stattdessen ging ich zwischen den Gebäuden hindurch, wo mich das Licht, das sich aus den Fenstern ergoss, größtenteils sehen ließ, wohin ich trat.
Leute, die mit Pferden zu tun hatten, bevölkerten das Gelände des Palm Beach Polo and Golf. Und ihre vielen Jack-Russell-Terrier, Welsh Corgis, Westhighland-Terrier, Labradors, Cockerspaniels und sämtliche anderen bekannten
Hunderassen. Die Besitzer waren nicht immer sehr gewissenhaft, wenn es darum ging, ihre Hinterlassenschaften wegzuräumen.
Ich suchte noch eine Viertelstunde lang, sah bei den Lagerschuppen nach, probierte die Türen. Kein Glück. Dann schlenderte ich zur Wachhütte des Westeingangs, der auf den South Shore Boulevard hinausging. Die Wachfrau schaute einen Film in einem winzigen Fernsehgerät. Ich ging zu der Glastür und klopfte höflich. Sie drehte sich um, sah mich finster an und machte keine Anstalten, mich hereinzubitten. Ich öffnete die Tür selbst und hoffte, sie würde keine Waffe ziehen und mich erschießen.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Tut mir leid, Sie zu stören, aber haben Sie vor einer Weile jemanden hier vorbeirennen sehen? Eine schwarz gekleidete Person, mit einem Spitzhut und großen Plateauschuhen?«
»Die verrückte Prinzessin?«, sagte sie, indigniert, dass ich ihr eine Frage gestellt hatte.
»Ja.«
»Nein, die hab ich nicht gesehen.«
Die Frau hatte den Umfang eines Nilpferdbabys und quoll förmlich aus ihrem Sessel.
»Wissen Sie etwas über sie?«, fragte ich.
»Nein.«
»Wissen Sie, wo sie wohnt?«
»Nein. Woher soll ich das wissen? Seh ich aus, als würde ich mich mit ihr herumtreiben?«
»Ganz und gar nicht. Aber da Sie hier arbeiten, denke ich mir, dass Sie alles Mögliche sehen und erfahren.«
Auf ihrem Namensschild stand J. Jones .
»Sie wissen nicht zufällig, wie sie heißt, Ms. Jones?«
»Die Verrückte eben«, antwortete sie ungeduldig. »Sind Sie taub?«
»Ich glaube aber nicht, dass ihre Mutter sie nach der Geburt stolz angesehen und gesagt hat: ›Lasst sie uns die Verrückte nennen.‹ Und Sie?«
J. Jones verzog das Gesicht. »Sie brauchen nicht schnippisch zu werden.«
»Anscheinend doch.«
Sie musterte mich von Kopf bis Fuß, die geschwollene Lippe, die Grasflecke auf der weißen Hose.
»Wohnen Sie hier, Madam?«
»Nein.«
»Wieso sind Sie dann hier? Sie dürfen sich ohne Grund nicht hier aufhalten. Wie sind Sie auf das Gelände gekommen?«
»Ich bin durch das Tor beim Players geklettert.«
»Das ist unbefugtes Betreten«, sagte sie. »Und wieso
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