Kalymnos – Insel deines Schicksals
und wandte sich um. „Dann gehe ich jetzt in die Kirche."
„Nein, nicht!" rief sie wie von Sinnen und bekam gerade noch seinen Arm zu fassen.
Im letzten Moment war ihr ein Gedanke
gekommen, wie sie Doneus zwar nicht umstimmen, aber immerhin Zeit gewinnen konnte. „Ich bin einverstanden. Aber nur unter der Bedingung, dass Sie mich nicht anrühren."
Entgeistert schüttelte er den Kopf. „Das kannst du nicht ernsthaft von mir verlangen!"
„Dann kann ich Sie nicht länger daran hindern, zu tun, was Sie nicht lassen können", erwiderte Julie traurig und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Irgendwie musste es ihr gelungen sein, Doneus zu beeindrucken, denn er blieb wie angewurzelt stehen und blickte sie mit großen Augen an, weil sie selbst in der größten Verzweiflung ihre Selbstachtung nicht verlor.
„Also gut", sagte er nach einer kleinen Ewigkeit, „ich bin bereit, deine Bedingung zu akzeptieren."
„Geben Sie mir Ihr Ehrenwort?" Sie musterte ihn ganz genau, als wollte sie von seinen Augen ablesen, ob es ihm tatsächlich ernst war.
„Was ich verspreche, halte ich auch, Julie." Er reagierte fast beleidigt, und Julie spürte instinktiv, dass sie ihm vertrauen konnte.
Als er sie jetzt lächelnd ansah, musste sie jedoch seinem Blick ausweichen. Nicht, dass sie Hass für Doneus empfand. Eigentlich empfand sie gar nichts - bis auf eine unendliche innere Leere. Und ihre einzige Sorge war, dass dieses Gefühl nie wieder verschwinden würde.
„Du solltest jetzt lieber in die Kirche gehen, sonst verpasst du die Trauung", erinnerte er sie. „Ich rufe dich morgen an. Dann können wir Einzelheiten unserer Hochzeit besprechen."
Julie rührte sich nicht vom Fleck. Wozu hatte sie sich nur hinreißen lassen?
„Sie haben mich noch gar nicht gefragt, ob ich vorhabe, mich an mein Versprechen auch zu halten", hörte sie sich sagen.
„Das brauche ich nicht, Liebling", erwiderte er und sah ihr tief in die Augen. „Du bist wie ich. Du würdest nie dein Wort brechen."
Julie saß auf der Veranda ihres neuen Zuhauses auf Kalymnos. Immer wieder ließ sie den Blick von den Seiten des Buches, in dem sie las, zu ihrem Ehemann schweifen, der ihr gegenübersaß, und jedes Mal beschlich sie eine seltsame Melancholie.
Doneus hatte sich in ihr nicht getäuscht, denn Julie hatte tatsächlich Wort gehalten und ihn noch in England geheiratet - gegen den ausdrücklichen Willen ihres Onkels, der an Lavinias Gefühlen nicht interessiert war und keine Skrupel hatte, sie jetzt, da die Ehe geschlossen war, mit der Wahrheit zu konfrontieren.
Aber darauf hatte Julie sich nicht eingelassen, schließlich hatte sie ihr Ehrenwort gegeben.
„Er hat dich genötigt, genau wie mich damals!" Sir Edwin war zutiefst verbittert gewesen. „Dieser verdammte Kerl! Warum ist er nicht bei seiner Arbeit verunglückt, wie so viele seiner Kollegen auch? Dann hätten wir endlich Ruhe vor ihm!"
„Ich verbiete dir, so zu reden!" fuhr Julie ihn an. Sie selbst erschrak über ihre Heftigkeit fast mehr als ihr Onkel. In Gedanken malte sie sich aus, wie Doneus eines Tages schwer verletzt nach Kalymnos zurückkehrt. Gleichzeitig wunderte sie sich darüber, warum sie sich um ihn solche Sorgen machte. Schließlich bedeutete er ihr nichts
- und das war noch das Beste, was sie über ihn sagen konnte. Wie schrecklich mochte da der Gedanke für diejenigen Frauen sein, die ihre Männer von ganzem Herzen liebten?
Warum mussten diese Männer auch diesen gefährlichen Beruf ausüben? Konnten sie nicht mit etwas anderem ihr Geld verdienen?
„Und ich verbiete dir, dass du diesen Mann heiratest!" befahl ihr Onkel autoritär.
„Nicht genug, dass er ein Ausländer ist, er ist auch alles andere als standesgemäß."
Aber Julie gab ihm zur Antwort, dass sie einen Mann nicht nach seiner gesellschaftlichen Stellung, sondern allein nach seinen charakterlichen Qualitäten beurteile. Außerdem war es für sie undenkbar, ihr Ehrenwort zu brechen.
„Länger als eine Woche hältst du es ohnehin nicht mit ihm aus!" war das letzte Argument gewesen, das ihm einfiel, um seine dickköpfige Nichte umzustimmen.
„Wo bist du nur schon wieder mit deinen Gedanken?" fragte Doneus, der von den Unterlagen, die er einer alten Aktentasche entnommen hatte, aufblickte und Julies Nachdenklichkeit bemerkte. „Willst du mich an deinen Geheimnissen nicht teilhaben lassen - wenigstens hin und wieder?"
Seine Stimme klang selbstbewusst und fast ein wenig fordernd. Seit sie vor etwas mehr als einem
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