Kalymnos – Insel deines Schicksals
Monat auf Kalymnos angekommen waren, hatte er sich nach Kräften darum bemüht, dass Julie sich wohl fühlte - auch wenn das einfache Leben hier in nichts mit dem Luxus vergleichbar war, den sie von Belcliffe House gewohnt war. Und allem Anschein nach hoffte er auf ein wenig Entgegenkommen ihrerseits.
„Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen", sagte sie freundlich und gab sich alle Mühe, nicht so überheblich und hochmütig zu wirken, wie es ihr mitunter passierte. Denn wenn Doneus auch nicht standesgemäß war, gab es an seinem Verhalten nichts auszusetzen, und insgeheim rechnete Julie es ihm hoch an, dass er sich seiner Herkunft so gar nicht zu schämen schien.
„Und an was hast du gedacht?"
„An zu Hause", gab sie unumwunden zu.
„Ist dies denn nicht dein Zuhause?" Er klang fast ein wenig traurig.
Julie blickte sich um. Von ihrem Platz aus konnte sie den wilden Wein sehen, der über das Verandadach wucherte. Aus den Spalten zwischen den Fußbodendielen krabbelten Ameisen, von den hölzernen Pfeilern blätterte die Farbe ab, und vom Dach rieselte der Putz. „Belcliffe House ist mein Zuhause", entgegnete sie bestimmt.
„Täuscht mich mein Eindruck, oder sehnst du den Tag, an dem ich abreise und du nach England zurückkehren kannst, wirklich so herbei?"
„Das kann ich nicht leugnen." Sie wünschte den Tag tatsächlich herbei - so, wie Persephone den Tag herbeigesehnt haben musste, an dem sie ihr dunkles Gefängnis endlich verlassen und an das Sonnenlicht zurückkehren durfte.
Ostern wäre es so weit, und weiter als bis dahin wollte sie im Moment nicht denken.
Zu sehr graute ihr vor all den Fragen, mit denen ihre Freundinnen sie überfallen würden.
Denn bestimmt hatten sie längst erfahren, dass sie einen armen und einfachen Griechen geheiratet hatte und zu ihm auf eine kleine und unbedeutende Insel in der Ägäis gezogen war. Noch weniger aber wollte sie an den Tag denken, an dem die fünf Monate um waren und es hieß, Abschied von der vertrauten Umgebung zu nehmen und zu ihrem Ehemann zurückzukehren.
Erneut sah sie zu Doneus hinüber. Und unversehens beschlich sie wieder die Sorge, er könnte schwer verletzt zurückkehren oder gar tödlich verunglücken ...
Schnell schlug sie sich diesen Gedanken aus dem Kopf und blickte auf seine geschmeidigen Hände, mit denen er die Papiere durchblätterte - wie so oft und ohne dass Julie sich erklären konnte, was es damit auf sich hatte. Soweit sie es beurteilen konnte, waren die meisten von ihnen in Griechisch abgefasst, aber einige auch in Englisch. Was mochte darin stehen? Und wo bewahrte er sie auf? Im Haus jedenfalls nicht, soviel hatte sie bereits festgestellt. Denn eines Tages hatte sie es vor Neugier nicht mehr ausgehalten und alles auf den Kopf gestellt, ohne jedoch fündig zu werden.
„Bis Ostern ist es noch ziemlich lange hin, Julie", hörte sie plötzlich Doneus sagen, als hätte er zum wiederholten Mal ihre Gedanken erraten. „Warum versuchst du nicht, dich in der Zwischenzeit hier häuslich einzurichten?"
Es war nicht das erste Mal, dass er so etwas sagte. Im Gegenteil, so oft, wie er es wiederholte, schien er sich tatsächlich nichts sehnlicher zu wünschen, als dass Julie sich mit ihrem Los nicht nur abfand, sondern die Zeit auf Kalymnos genoss - auch wenn sie ihr Dasein in einer armseligen Hütte mit drei klitzekleinen Zimmern fristen musste, in dem es kaum Möbel gab und das Wasser aus einem Brunnen im Garten geholt werden musste.
Um ihr etwas Abwechslung zu verschaffen, hatte er ihr sogar gezeigt, wie man Brot backte. Nachdem er den Teig angerührt und mit Sesamkörnern bestreut hatte, hatte er ein Feuer in dem steinernen Ofen angemacht, der in einiger Entfernung vom Haus im Schatten einer Platane stand, und die Laiber in die Röhre geschoben, um einige Zeit später duftendes knusprig-braunes Brot herauszuziehen. Obwohl er sie aufgefordert hatte, es selbst einmal zu versuchen, hatte sie sich bisher nicht dazu durchringen können.
Schließlich war sie nicht irgendwer. „Zu Hause brauchte ich mich um nichts zu kümmern. Und ich habe nicht vor, Ihnen den Haushalt zu führen, Doneus."
Er hatte sich daraufhin kommentarlos umgedreht, und fast hatte es den Eindruck gehabt, als müsste er sich zusammenreißen, um nicht etwas zu entgegnen, was er später bereuen würde.
Ganz ähnlich reagierte er jetzt, als sie ihm antwortete, dass sie nicht vorhabe, sich häuslich einzurichten. Zunächst schien es, als wollte er wütend werden, aber im
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