Kammerflimmern
Präsidium sind, bespreche ich das mit Ludger. Und wir müssen noch mehr über diese Russenbande erfahren.«
»Willst du noch mal mit Stellmann sprechen?«
Der Hauptkommissar kratzte sich am Kinn.
»Auch. Aber wir werden auf jeden Fall Sergej einen Besuch abstatten.«
Sergej Kowaljow, der Russe, von dem Lenz sprach, betrieb seit etwa vier Jahren eine Telefonboutique in der Innenstadt. Dort traf sich die russische Subkultur, um zu telefonieren, im Internet zu surfen, zu rauchen und Tee zu trinken. Manchmal wurde auch etwas anderes als Tabak geraucht, was der Hauptkommissar wusste, doch es gab eine unausgesprochene Übereinkunft, seit Kowaljow vor zwei Jahren der Polizei den entscheidenden Hinweis zur Ergreifung eines Prostituiertenmörders gegeben hatte.
»Gute Idee«, lobte Hain seinen Chef. »Darauf hätten wir allerdings schon früher kommen können.«
»Wer weiß, ob er sich in dieser Liga überhaupt auskennt? Und dann auch noch mit uns darüber reden will?«
»Wir werden se hen«, beendete Hain die Spekulationen, weil sie ihr Ziel erreicht hatten.
Hausnummer 28 war das linke Gebäude eines Ensembles von vier Häusern gleichen Zuschnitts, die in einem freundlichen Orange gestrichen waren und äußerlich sehr gepflegt wirkten. Lenz legte den Finger auf den Klingelknopf. Als nach einer halben Minute noch keine Reaktion gekommen war, versuchte er es erneut. Ein paar Sekunden später hörten sie die Stimme einer Frau.
»Ja, bitte?«
»Hauptkommissar Lenz, guten Tag. Wir haben vor ein paar Tagen miteinander gesprochen, auf dem Polizeipräsidium.«
Es gab eine kurze Pause.
»Sie sprechen leider nicht mit Frau Hohmann persönlich, ich bin ihre Tochter. Aber es kann sich dabei nur um eine Verwechslung handeln.«
Lenz sah zu seinem Kollegen, doch der zuckte mit den Schultern.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns kurz hereinzulassen, damit wir die Sache klären können?«
Ohne eine Antwort wurde der Türöffner gedrückt. Die beiden Polizisten traten in den Flur und sahen sich um. Sie hörten, wie oben eine Tür geöffnet wurde, und gingen in den zweiten Stock. Dort stand vor einer Wohnung eine etwa 35-jährige Frau und sah sie unsicher an. Lenz zog seinen Dienstausweis aus der Tasche, hob ihn hoch, sodass die Frau lesen konnte, was darauf geschrieben stand, und stellte sich und Hain noch einmal vor.
»Und ich bin Irene Kolb. Guten Tag! Sie sind absolut sicher, dass Sie wirklich zu meiner Mutter, Anna Hohmann, wollen?«
Für einen Moment zögerte Lenz. Möglich, dass Wagner ihm die Adresse einer anderen Anna Hohmann herausgesucht hatte.
»Wenn Ihre Mutter die Anna Hohmann ist, die bei der IHK Kassel arbeitet, dann ja.«
Die Frau nickte kaum sichtbar, bat die Polizisten in die Wohnung und ging voraus in die Küche.
»Mein Verhalten mag Ihnen befremdlich erscheinen, meine Herren, aber es ist definitiv unmöglich, dass meine Mutter Sie in der letzten Zeit im Präsidium besucht hat, auch wenn sie die Frau ist, von der Sie sprechen.«
Lenz hatte keine Ahnung, wovon sie redete.
»Ihre Mutter heißt Anna Hohmann und arbeitet für die IHK Kassel?«
»Das ist im Groben richtig, ja.«
»Dann habe ich am Freitag der letzten Woche im Polizeipräsidium ein Gespräch mit ihr geführt. Wir haben sie im Gebäude der IHK getroffen, als sie ihrem Chef, Herrn Goldberg, einen Besuch abstatten wollte.«
Die Frau sah ihn entgeistert an.
»Das ist unmöglich, Herr Kommissar.«
»Darf ich fragen, was Sie so sicher macht, Frau Kolb?«
Sie schluckte.
»Meine Mutter liegt im Sterben. Sie hat diese Wohnung seit mehr als zwei Monaten nicht mehr verlassen.«
Lenz brauchte einen Moment, um zu begreifen, was die Frau gesagt hatte.
»Das tut mir außerordentlic h leid, Frau Kolb.
Woran …, ich meine, was genau …?« Er stockte.
»Angefangen hat es vor einem Jahr mit einem Tumor in der Leber, und zuerst sah es nicht schlecht aus für sie. Vor einem knappen halben Jahr haben die Ärzte dann aber Metastasen im Gehirn festgestellt, und seitdem geht es rapide bergab. Sie kann schon länger nicht mehr aufstehen, und seit etwa zwei Wochen erkennt sie mich nur noch sporadisch.«
»Dann ist sie auch schon länger nicht meh r bei der Arbeit gewesen, nehme ich an?«
»Ganz genau kann ich es Ihnen nicht sagen, weil ich nicht in Kassel lebe und erst seit vier Wochen hier bin, um sie zu pflegen, aber sie ist sicher seit dem Sommer nicht mehr im Büro gewesen.«
»Haben Sie ein Bild von Ihrer Mutter, Frau Kolb?«
Sie griff zu
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