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Kammerflimmern

Kammerflimmern

Titel: Kammerflimmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gibert
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grauhaarige Mann ohne Vorwarnung zu schießen begann. Hain hatte nicht den Hauch einer Chance. Obwohl er instinktiv versuchte, den Schützen ins Visier zu nehmen, traf ihn der erste Schuss in die Brust und warf seinen Oberkörper seitlich nach hinten. Während Lenz seine Waffe auf Roll richtete und zielte, nahm er aus dem Augenwinkel wahr, dass auch der zweite Schuss den Oberkörper seines Kollegen traf und ihn endgültig zu Boden schleuderte. Dann begann er zu feuern. Die ersten beiden Schüsse schlugen rechts neben dem Türrahmen ein, der dritte fand den Weg ins Treppenhaus, wo er als jaulender Querschläger verschwand. Ein weiterer bohrte sich in die Wand oberhalb der Tür, bevor der Hauptkommissar mit weit aufgerissenen Augen tief Luft holte. Er sah, dass die rauchende Waffe in seiner Hand zitterte, fixierte aber weiter jenen Punkt neben der Tür, von dem aus Roll seinen Partner niedergeschossen hatte. Vom Boden hörte er wie durch Watte Hains Stöhnen, weil seine Ohren vom infernalischen Krach der Schüsse klingelten. Für den Bruchteil einer Sekunde warf er einen Blick auf seinen Kollegen, der zusammengekauert dalag und mit leerem Blick in seine Richtung sah. Irgendwo im hinteren Teil des Hauses schlug eine Tür.
     
    Lenz versuchte mit aller Kraft, die Kontrolle über seine Emotionen zurückzugewinnen. Er wollte, dass das Zittern aufhören und dass die Angst, die ihn im Würgegriff hielt und bewegungslos machte, verschwinden würde. Mit größter Mühe gelang es ihm, den rechten Fuß zu heben und ein Stück nach vorne zu setzen. Dann zog er den linken nach und kämpfte sich so Millimeter um Millimeter vorwärts. Mit jedem Herzschlag erwartete er, dass Roll erneut zum Vorschein kommen und auch ihn niederschießen würde. Dann jedoch wurde seine Angst langsam von einem anderen Gefühl abgelöst. Wut. Er wurde wütend. Wütend darüber, dass sein Kollege und Freund hinter ihm blutend auf dem Boden lag und er ihm nicht helfen konnte, solange er selbst nicht in Sicherheit war. Wütend darüber, dass Roll ohne Skrupel auf einen Polizisten geschossen hatte. Als er noch etwa einen Meter von der Tür entfernt war, nahm er seine Pistole in die linke Hand, knickte sie leicht nach innen, stürmte vorwärts und gab dabei zwei Schüsse ab.
     

32
    Beide Projektile schlugen wirkungslos im Türrahmen ein. Lenz kam etwa einen halben Meter hinter dem Durchgang zum Stehen, duckte sich, warf den Körper herum und zielte auf den Punkt, wo er Roll vermutete. Was er sah, ließ ihn schaudern.
     
    Rechts neben der Tür, durch die er gestürmt war, gab es einen Durchgang zur Küche des Hauses. Dort lag, verkrümmt und mit dem Gesicht nach unten, Boris Blochins lebloser Körper in einer riesigen Blutlache auf dem gefliesten Boden. In seinem Rücken steckte ein Messer. Der Hauptkommissar schluckte, reckte sich wie in Trance hoch, schob sich langsam vorwärts und zog dabei sein Telefon aus der Jacke. Mit der Pistole in der Linken auf den Russen zielend drückte er mit rechts drei Ziffern und die grüne Taste. Noch während die Verbindung aufgebaut wurde, wandte er sich ab und steckte die Pistole in das Holster. Blochin stellte keine Gefahr mehr für ihn dar.
    Dann hastete er zurück zu Hain, der in unveränderter Haltung auf dem Boden lag. Dessen Beine zitterten kaum merklich, und auf seiner Brust und an der rechten Schulter hatten sich hässliche Blutflecken ausgebreitet.
    »Guten …«, wollte ihn der Mitarbeiter der Leitstelle begrüßen, doch Lenz fiel ihm ins Wort.
    »Hauptkommissar Lenz. Ich brauche dringend Hilfe für einen Kollegen mit schweren Schussverletzungen. Und vielleicht den Hubschrauber, keine Ahnung. Aber schnell, bitte.«
    Mit zitternder Stimme gab er die Adresse durch und ließ das Telefon fallen. Dann griff er mit der linken Hand sanft unter Hains Kopf und hob ihn vorsichtig ein kleines Stück an.
    »Thilo, kannst du mich hören?«
    Der Oberkommissar öffnete wie in Zeitlupe die Augen und sah ihn kraftlos an.
    »Mich hat’s erwischt, Paul«, flüsterte er. »Dieser Scheißkerl hat wirklich auf mich geschossen.«
    »Ja, aber es sieht nicht so schlimm aus.«
    Hain wollte sich aufrichten, weil er offenbar starke Schmerzen hatte, aber Lenz hielt ihn fest.
    »Ganz ruhig, Thilo. Der Notarzt ist gleich da und kümmert sich um dich. Bleib einfach liegen und versuch, dich so wenig wie möglich zu bewegen.«
    Hain nickte kraftlos.
    »Hast du den Drecksack erwischt?«
    Lenz schüttelte den Kopf.
    »Nein, er ist abgehauen.

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