Kammerflimmern
gefahren!«
Die Polizeisirenen kamen näher.
Wieder ging der Arzt in die Hocke, diesmal vor dem Bus.
Der Tote trug um das Handgelenk ein Namensschildchen. Der Arzt zog einen Kugelschreiber aus der Brusttasche, um es so zu drehen, dass der Name zu lesen war.
»Sverre Bakken«, murmelte er. »Der arme Teufel.«
Als er sah, in welcher Abteilung der Mann gewesen war, stand er auf und machte eine frustrierte Handbewegung, ehe er rief: »Wieso werden die denn nicht eingesperrt?«
Freitag, 14. Mai 2010
8.00 a.m.
Grand Hyatt Denver, 1750 Welton Street, Denver, Colorado
Sara Zuckerman drohte dem Wecker mit der Faust und legte sich das Kissen übers Gesicht.
Nichts davon half.
Das schrille Klingeln hatte sie aus einem so tiefen Schlaf gerissen, dass sie eine Weile auf dem Boden tastete, bis sie den kleinen Reisewecker gefunden hatte und ihn ausschaltete. Dann ließ sie sich zurücksinken und schlief wieder ein.
Fast.
Sie fuhr hoch, riss die dünne Decke weg und stürzte die drei Schritte zum Schreibtisch am Fenster.
Das Telefon lag an Ort und Stelle. In dem Ladegerät, das Catherine Adams ihr zusammen mit dem letzten Mobiltelefon ihres Mannes gegeben hatte. Das Ding war erst vier Jahre alt, wirkte aber bereits völlig überholt, mit so winzigen Tasten, dass Sara den Einschaltknopf erwischte, als sie feststellen wollte, ob der Akku jetzt aufgeladen sei. 2006 war offenbar das Jahr gewesen, in dem die Hersteller von Mobiltelefonen sich damit amüsiert hatten, sie so klein wie möglich zu machen.
Aufgrund von Verspätungen und eines diensteifrigen Zollbeamten, der es verdächtig fand, dass Sara als amerikanische Staatsbürgerin seit über einem Jahr ihre Heimat nicht mehr besucht hatte, waren ihr nur zehn Minuten geblieben, als sie endlich Catherine Adams gefunden hatte.
Die große schlanke Frau war sicher einige Jahre älter als Sara, mit Haaren, die ungestört hatten grau werden dürfen, und tiefen Lachfältchen. Sie war bei diesem Treffen viel ruhiger als bei dem Anruf in der Nacht. Offenbar machte ihr nicht einmal die Zeitnot zu schaffen. Ruhig ging sie mit Sara in eine Ecke der Abflughalle und reichte ihr eine durchsichtige Plastiktüte mit einem Mobiltelefon und dem dazugehörigen Ladegerät.
»Es sind noch einige private Nachrichten gespeichert«, sagte sie. »Ich habe nicht gewagt, sie zu löschen, aus Angst, etwas falsch zu machen und das zu entfernen, was Sie bitte hören sollen. Ich verlasse mich darauf, dass Sie die privaten Meldungen ignorieren und dass ich irgendwann das Telefon zurückbekomme.«
Sara nickte und sah die Tüte fragend an.
»Hören Sie sich die letzte Aufnahme an«, sagte Catherine Adams. »Ich habe sicherheitshalber die Gebrauchsanweisung herausgesucht, damit Sie nichts falsch machen können.«
Sie reichte Sara das kleine Heft. »Wie gesagt, ich weiß nicht, ob es wichtig ist. Aber wenn die Aufnahme von Bedeutung ist, dann wäre Peter damit einverstanden gewesen, dass Sie sie bekommen.«
Mit flüchtigem Lächeln streckte sie eine kühle Hand aus. »Rufen Sie mich an, wenn Sie mögen«, sagte sie und ging.
Im Flugzeug von Newark nach Denver hatte Sara versucht, »The Human Stain« auszulesen, aber sie ertappte sich dabei, dass sie dieselbe Seite immer wieder lesen musste. Daran war nicht das Buch schuld. Sie spielte schon mit dem Gedanken, mit Peter Adams Telefon zur Toilette zu gehen und sich die rätselhafte Aufnahme anzuhören, gab diese Idee dann aber wieder auf. Sie wollte Catherine Adams Rat befolgen und zuerst die Gebrauchsanweisung lesen. Sie benutzte ihr eigenes Telefon nur zum Telefonieren, und dass es die Möglichkeit gab, damit Aufnahmen zu machen, war ihr nur vage bekannt.
Als sie endlich in der Suite angekommen war, die die Veranstalter des Kongresses ihr großzügigerweise spendiert hatten, wurde ihr schnell klar, dass sie wohl kaum schlafen könnte, wenn sie sich jetzt gleich die Aufnahme anhörte. Sie würde entweder zu aufgeregt oder zu enttäuscht sein, sie war zum Umfallen müde und hatte nur noch die Kraft, sich abzuschminken und die Zähne zu putzen, ehe sie ins Bett fiel.
Jetzt war sie hellwach, nach nur fünf Stunden Schlaf.
Zur Suite gehörte eine Kochnische neben der Eingangstür. Sara zog den hoteleigenen Bademantel an und bereitete sich einen dynamitstarken Kaffee, ehe sie sich mit der Gebrauchsanweisung wieder ins Bett setzte.
Alles wirkte so einfach.
Ihre Hände zitterten, als sie die Anweisungen befolgte, die sie inzwischen auswendig
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