Kammerflimmern
machte mit der rechten Hand eine resignierte Bewegung.
»Ich bin so schnell wie möglich gekommen, aber in dieser ganzen verdammten Stadt ist kein Hotelzimmer aufzutreiben. Überall wimmelt es von euch Quacksalbern. Außerdem ist es hundekalt. Zu Hause ist so ungefähr Sommer, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass hier noch der pure Winter herrscht.«
Er schüttelte sich, ging zum Fenster und zeigte hinaus: »Siehst du! Das Kirchendach ist ganz weiß!«
»Heute Nacht hat es geschneit«, sagte Sara. »Gegen die Kälte kann ich nichts unternehmen, aber du bist herzlich eingeladen, in meinem Zimmer zu wohnen.«
»Was sollen dann die Leute denken?«
»Dass ich mir diesmal einen ungewöhnlich jungen Mann ausgesucht habe. Nur achtundvierzig Jahre alt.«
Jerry lächelte. »Ich muss sagen, ich bin gespannt darauf, was du auf dem Herzen hast.«
Sie holte Peter Adams’ Mobiltelefon und legte es auf den niedrigen Glastisch. »Na gut«, sagte sie dann leise. »Du kennst die ganze Geschichte darüber, was in den vergangenen Tagen bei Deimos passiert ist?«
»Ja, als ich dich angerufen ...«
»Ich werde dir jetzt eine Tonbandaufnahme vorspielen«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich habe sie gestern Abend von einer Frau namens Catherine Adams erhalten. Sie wohnt in New York, und ihr verstorbener Mann war Chef von R & D Software bei Mercury Medical. Peter Adams ist im Mai 2006 ganz plötzlich gestorben. Bitte merke dir das Datum: Mai 2006.«
»Gut«, sagte Jerry neugierig. »Und worum geht es bei dieser Aufnahme?«
»Ich möchte deine erste Reaktion auf das Gehörte sehen, ohne vorher zu viel zu sagen.«
Sie suchte die Tonspur heraus, drückte auf OK, stellte möglichst laut, ohne den Ton zu verzerren, und legte das Telefon direkt vor Jerry.
In der folgenden Dreiviertelstunde sagten sie nichts.
Jerry beugte sich immer weiter vor, jetzt ruhten seine Ellbogen auf dem Tisch, und er legte das Kinn auf die Fäuste, während er konzentriert zuhörte:
»Wer weiß von diesem Programm?«
»David Crow jedenfalls nicht. Der ist einige Tage nach seinem Rausschmiss ums Leben gekommen. Das Problem ist natürlich, dass wir keine Ahnung haben, ob er es weitergereicht hat. Wenn wir wüssten, dass es keine Kopien gibt, könnten wir den Dreck einfach löschen, und die Sache wäre erledigt. Aber das wissen wir nun einmal nicht.«
»Vier Jahre. In vier Jahren haben wir keinen einzigen Bericht über Ereignisse erhalten, die auch nur annähernd dieser ... dieser teuflischen Software zugeschrieben werden können.«
»Nein, aber ...«
»Ist es nicht höchst unwahrscheinlich, dass es Kopien gibt? Nach allem, was du erzählt hast, hatte David Crow keine Freunde. Wir sind nicht erpresst worden, nichts ist passiert. Und ganze vier Jahre sind vergangen.«
»Trotzdem müssen wir ...«
»Wo ist das Programm jetzt?«
»Da.«
»Der Stick?«
Pause. Ein Kratzen, dann wieder Stille.
»Hier.«
»Der kommt in den Safe. Es ist Freitag und geht auf den Abend zu. Ich will zum Wochenendhaus. Morgen erledige ich zwei Anrufe.«
»Zwei Anrufe? Aber wir müssen ...«
»Das ist vier Jahre lang sehr gut gelaufen. Es wird auch noch zwei Tage gut gehen.«
Das Gespräch wurde mit einer Verabredung für den Montagmorgen abgeschlossen. Dann folgte ein Klicken. Die Aufnahme war beendet.
Jerry starrte das Telefon an. Sara starrte Jerry an.
»Sag was«, bat sie endlich.
»Gerade so klein, dass es in eine Brusttasche passt«, sagte er und riss endlich seine Blicke von dem Gerät los. »Ottos Stimme ist ein wenig vage, aber deutlich genug. Wenn die Aufnahme echt ist, dann ist es aus mit Otto Schultz.«
»Ich versteh das nicht«, sagte Sara verzweifelt.
»Was verstehst du nicht?«
»Die Aufnahme beweist, dass Otto Schultz schon im Mai 2006 von der Existenz des Virus gewusst hat. Aber das Virus war nicht aktiv. Wenn er sich so verhalten hätte, wie Peter Adams es in diesem Gespräch vorschlägt, dann wären die Schäden gering gewesen. Eine freiwillige Rückrufaktion kostet natürlich, ist aber doch überschaubar, wenn noch niemand aufgrund des Mangels ums Leben gekommen ist. In jeder Hinsicht, vermute ich mal, was den guten Ruf angeht und im Hinblick auf die Kosten.«
Jerry grinste und wollte weitersprechen, als Sara plötzlich sagte: »Vor einigen Jahren, 2007, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, musste Medtronic eine Elektrode zurückrufen.«
Sie presste Daumen und Zeigefinger jeder Hand zusammen und zog sie dann auseinander, als
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