Kammerflimmern
leichter machen.
Guros Magengrippe würde sich im Laufe des Tages bessern. Wenn die Übelkeit keine andere Ursache hat, dachte er plötzlich. Diese Vorstellung war so entmutigend, dass er den CD-Spieler einstellte und seine Angst von Elvis Presleys »In the ghetto« übertönen ließ.
Eine Schwangere kotzt doch nicht die ganze Nacht, tröstete er sich und trat aufs Gaspedal.
7.29 Uhr
GRUS, Bærum
Als Assistenzarzt Petter Bråten Sara Zuckerman auf dem Gang vor dem Besprechungszimmer der Kardiologie anhielt, glaubte sie, den Schweiß seiner Hände durch ihren Kittel spüren zu können. Bråten hatte rote Wangen und atmete ein wenig zu schnell.
»Erik Berntsen«, sagte er kurz. »Weg.«
»Weg? Wie meinst du das?« Einen Moment lang glaubte sie, der jüngere Mann habe auf reichlich saloppe Weise mitgeteilt, der Patient sei verstorben.
»Verschwunden. Er ist verschwunden!«
Sara Zuckerman starrte ihn schweigend an. Er ließ ihren Unterarm los. Sie schüttelte den Kopf, als sie seinen gehetzten Blick sah, und sagte: »Fang mit dem Anfang an. Atme ruhig durch, und sag mir, was passiert ist.«
Sie wollte nicht herablassend klingen.
Petter Bråten aber schien auf ihren Tonfall nicht zu reagieren. Er atmete tief durch, überlegte und sagte dann: »Berntsen war nicht auf seinem Zimmer, als er um sieben geweckt werden sollte. Nicht im Bett, nicht im Zimmer, nicht im Bad. Die Schwester glaubte, er sei vielleicht in den Fernsehraum gegangen oder wolle eine Zeitung kaufen, aber jetzt ist überall gesucht worden. Er ist spurlos verschwunden.«
»Hat er ... Er hat sich doch nicht selbst entlassen?«
»Nein. Er ist nur ganz einfach verschwunden.«
Sara Zuckerman schaute auf die Armbanduhr. Erik wurde erst seit einer halben Stunde vermisst. Vermutlich war die Sache nicht weiter wichtig.
»Soll ich die Polizei verständigen?«, fragte Petter Bråten.
»Die Polizei? Nein, natürlich nicht. Aber es wäre nett, wenn du seine Frau anrufen könntest.«
»Ich? Warum kannst du das nicht machen? Schließlich bist du doch ...«
»Ruf an«, fiel Sara ihm ins Wort. »Aber du darfst sie nicht zu sehr beunruhigen. Vielleicht macht er ja einfach einen kleinen Spaziergang. Gestern Abend war er in hervorragender Form. Also bleib gelassen, bitte.«
Ehe Petter Bråten noch einmal protestieren konnte, machte sie auf dem Absatz kehrt und ging zu ihrem Büro. Sie fischte den Funkmelder aus der Tasche und versuchte, Ola Farmen zu erreichen. Zum dritten Mal, seit sie zur Arbeit gekommen war, und noch immer antwortete er nicht.
Wenn sie ihn nicht so gern gehabt hätte, wäre ein Anschiss mehr als fällig gewesen.
1.45 a.m.
Hotel Plaza, Manhattan, NYC
Agnes Klemetsen konnte nicht schlafen. Das Essen war zu üppig gewesen, und auch wenn sie nicht viel Ahnung von Wein hatte, war ihr doch klar, dass der Inhalt der Gläser zur Mahlzeit gepasst hatte. Sie war vorsichtig gewesen und hatte sich nur ab und zu die Zunge angefeuchtet. Sie war eine halbe Stunde vor Mitternacht ins Hotel zurückgekehrt, war im Wellnessbereich noch fünfhundert Meter geschwommen und hatte dann eine halbe Schlaftablette genommen, um gut zu schlafen.
Die Erwartungen hielten sie trotzdem wach.
Sie schaute sich in der Suite um. Als ein Journalist sie am Vorabend mit dem Tagespreis im Plaza konfrontiert hatte, war sie zum Glück geistesgegenwärtig genug gewesen, um zu sagen, dass Mercury Medical für die Kosten aufkomme. Die Steuerzahler könnten also beruhigt sein. Der Mann hatte nicht ganz zufrieden mit der Antwort gewirkt, und sie mochte nicht im Netz nachsehen, ob er trotzdem darüber geschrieben hatte.
Die Suite war sicher an die hundert Quadratmeter groß. Das Schlafzimmer mit dem gigantischen edwardianischen Bett war vom Wohnbereich durch Eichentüren getrennt, die so lautlos zuglitten, dass es wie Magie wirkte. Neben dem Wohnzimmer lag ein Gästebad, während sie sich in einem riesigen Badezimmer mit Waschbecken, Toilette und Badewanne von Sherle Wagner tummeln konnte. Und wenn Agnes Klemetsen sich auch mit Wein nicht so recht auskannte, so wusste sie doch genug über Inneneinrichtung, um immer noch den Atem anzuhalten, wenn sie ihre Suite im 13. Stock betrat.
Agnes Klemetsen streckte sich im Bett und ertappte sich bei einem Lächeln.
Die Einundvierzigjährige gehörte zu denen, deren Karriere eine neue Grundlage erhalten hatte, als 2006 das Gesetz zur Quotenregelung erlassen worden war. Nicht dass sie nicht auch ohne Quote gut genug gewesen wäre:
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