Kammerflimmern
Fenster öffnete, fand sie seinen Koffer und eine bis zum Rand mit Büchern gefüllte Stofftasche.
Leicht ratlos blieb sie mitten im Zimmer stehen.
Auch wenn der Patient noch so eigensinnig war, so blieb es doch eine Tatsache, dass er erst vor zwei Tagen einen nicht ganz leichten Eingriff durchgemacht hatte, gerade für einen Mann in seinem Alter. Ganz problemlos war die Sache ja auch nicht verlaufen, wie sie in den Unterlagen gelesen hatte.
Nervös strich sie sich mit der Hand durch die Haare, ehe sie den benutzten Teller und das Glas zusammenräumte und aus dem Zimmer trug. Vielleicht wanderte Erik Berntsen ja im Gang umher.
Vermutlich war alles in schönster Ordnung, aber als die Tür hinter ihr zufiel und sie ihn weder rechts noch links sehen konnte, zögerte sie abermals.
Das hier gefiel ihr nicht.
Für die Betten war sie verantwortlich, und die Patienten, die darin lagen, hatten sich ihren Anordnungen zu fügen. Jedenfalls sollten sie nicht auf eigene Faust durch die Gegend gondeln.
Als sie den Fernsehraum ansteuerte, schlugen ihre Sandalen hart wie Holzschuhe gegen den Linoleumboden.
»Erik Berntsen ist verschwunden«, sagte sie wütend zu einem Träger, der ihr ein leeres Bett entgegenschob. »Zimmer 301. Hast du ihn gesehen?«
Der Träger zuckte mit den Schultern und ließ sich nicht einmal zu einer Antwort herab.
7.26 Uhr
Gjettumkollen, Bærum
»Ich will nicht!«
Tobias Farmen war gerade sieben geworden und hatte es sich in den Kopf gesetzt, nur noch schwarze Sachen zu tragen. Er stand mit bloßem Oberkörper in dem Zimmer, das er mit seiner Zwillingsschwester Tara teilte, und warf den roten Pullover in die Ecke, ehe er die Arme vor dem schmalen Brustkasten verschränkte.
»Na komm schon«, sagte Ola Farmen resigniert. »Jetzt musst du tun, was Papa sagt. Zieh den Pullover an. Außerdem musst du darunter ein Hemd tragen. Hier.«
Er reichte dem Jungen ein blaues Unterhemd.
»Draußen ist es eine Million Grad warm«, sagte der Junge wütend.
»Umso weniger sinnvoll, Schwarz zu tragen. Also los.«
»Ich bin schon fertig«, sagte Tara und stand lächelnd in der Türöffnung. »Was ist ein Sinusrhythmus, Papa?«
Sie trug eine unter den Knien abgeschnittene rosa Leggins und ein so eng sitzendes Trägerhemd, dass ihr Vater die Stirn runzelte.
»Das ist ein Unterhemd, Tara! Außerdem ist es zu klein. Zieh etwas darüber, oder nimm ein T-Shirt. Ich hab doch gestern Abend Kleider für euch rausgelegt! Die Regel ist, dass ...«
»Schwarz«, sagte Tobias verbissen. »Wenn ich kein Schwarz tragen darf, will ich überhaupt nicht in die Schule.«
»Papa«, wiederholte Tara. »Was ist ein Sinusrhythmus?«
Eins, zwei, drei, vier ...
Ola Farmen schloss die Augen und versuchte, tief und gleichmäßig zu atmen, während er bis zehn zählte.
»Ich kann dir das jetzt nicht erklären«, sagte er verzweifelt und schob die Kleine weg.
»Wo ist Mama?«, fragte Tobias, der seinem Vater offenbar durchaus nicht gehorchen wollte.
»Mama ist krank«, sagte Ola wütend. »Und jetzt tut ihr, was ich sage!«
Er konnte es nicht ertragen, auf seine Kinder wütend zu sein. Immer häufiger musste er laut werden, damit sie gehorchten, und jedes Mal war eine Niederlage.
»Und du!«, das schrie er fast und schaute dabei in die nächste Tür. »Du kommst jetzt aus dem Bett, Tarjei!«
Der Neunzehnjährige grunzte und zog sich die Decke über den Kopf. Er machte gerade Abitur, und sie sahen ihn derzeit so gut wie nie. Dass er offenbar soff wie ein Loch, war das eine. Irgendwie musste das zur Abizeit wohl so sein. Dass seine Kleider immer öfter nach Rauch stanken, machte Ola Farmen schon viel größere Sorgen. Er hatte mehrmals versucht, an den ästhetischen Sinn seines Sohnes zu appellieren, da medizinische Gründe bei ihm auf taube Ohren trafen. Tarjei zuckte nur mit den Schultern und stritt alles ab. Nicht er rauche, behauptete er. Sondern ein paar Kumpels.
»Rauchen ist total unmodern«, sagte Ola zum Gott weiß wievielten Mal. »Richtig proll. Reiß dich zusammen! Steh auf!«
»Aber Papa«, sagte Tara zum dritten Mal. »Ich muss wissen, was ein Sinusrhythmus ist!«
»Du bist erst sieben!«
»Heute reden wir darüber, was wir werden wollen, wenn wir groß sind, und ich will Kardiologin werden. Ich hab in dein Buch geguckt, und da war ein schönes Muster namens Sinusrhythmus. Bitte, Papa.«
Ihre Unterlippe fing an zu zittern.
»Hol Papier und Bleistift«, sagte er resigniert und setzte sich in einen etwas
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