Kammerflimmern
bestanden, sie vor dem Essen auf einen Drink zu treffen, hatte aber Anstand genug besessen, nicht zu protestieren, als sie den Champagner dankend abgelehnt und um etwas Alkoholfreies gebeten hatte.
»Professor Erik Berntsen?«, fragte sie. »Den Elektrophysiologen?«
»The one and only«, sagte er und hob sein Glas. »Great guy.«
Natürlich kannte sie Erik Berntsen.
Der Dickkopf hatte mehrere Jahre unter ihrer Leitung als Vertreter der Angestellten im Vorstand des Osloer Universitätskrankenhauses gesessen. Er war bekannt als fähiger Arzt und Forscher, mit pädagogischen Fähigkeiten, die ihn zum Liebling der Studierenden machten. Zugleich war er ein arroganter Streithammel, der sich in jeden vorstellbaren Konflikt mit der Krankenhausleitung stürzte. Ununterbrochen verlangte er mehr Geld, ging bei jedem Vorschlag zu Einsparungen in die Luft, schimpfte, fluchte und pöbelte. Zwei Jahre zuvor war er durch eine umgänglichere Rheumatologin ersetzt worden. Das neue Vorstandsmitglied besaß immerhin ein gewisses Verständnis dafür, dass man in einem öffentlichen Krankenhaus nicht unendlich viel Geld ausgeben konnte. Sie war in der Lage, einen Haushaltsplan zu lesen, und begriff die Konsequenzen einer Überschreitung.
Agnes Klemetsen wusste nicht, worauf Otto Schultz hinauswollte.
Dass er Erik Berntsen kannte, war unwahrscheinlich. Otto Schultz hatte zwar Medizin studiert, arbeitete aber seit über einem Menschenalter als Geschäftsmann. Und Berntsen mochte im heimischen Ententeich ein großer Fisch sein, aber sie konnte sich nicht vorstellen, wie er in Kontakt zu dem Großmogul Schultz gekommen sein sollte.
Falls sie einander doch kannten, musste sie allerdings ihre Worte genau wählen.
Agnes Klemetsen konnte Erik Berntsen nicht ausstehen.
Deshalb sagt sie gar nichts.
»Er ist tot«, sagte Otto Schultz mit Bassstimme. » Poor fellow. Heart attack. Ironic, isn ’ t it? Da hat er sich nun seit Ewigkeiten mit Schrittmachern und ICDs beschäftigt, und dann wird er so einfach von einem Herzstillstand erledigt.«
Er schüttelte den Kopf und schnalzte bedauernd mit der Zunge.
Agnes Klemetsen nickte kurz.
»Hast du ihn also gekannt?«, fragte Otto Schultz noch einmal.
»The car is ready and waiting, Sir!«
Ein klapperdürrer Kellner, tadellos gekleidet, rettete Agnes Klemetsen. Sie hatte gar nichts zu sagen brauchen.
Auf diese Weise hatte sie sich nach oben manövriert. Eine solide Ausbildung als Grundlage, danach harte Arbeit. Und eine fein abgestimmte Fähigkeit, den Mund zu halten, wenn es darauf ankam, dachte sie und nahm lächelnd den von Otto Schultz angebotenen Arm.
»Four Seasons«, sagte sie, »ich habe noch nie das Vergnügen gehabt, dort zu speisen.«
»Dann kannst du dich freuen«, sagte Otto Schultz und schob dem dünnen Kellner einen Zehndollarschein zu.
Dass der Kellner mit unzufriedener Miene den Geldschein anstarrte, bemerkten sie beide nicht, sie waren längst in ein Gespräch über die aktuelle Ausstellung im Guggenheim-Museum vertieft.
19.00 Uhr
GRUS, Bærum
Ola Farmen saß schlafend in seinem Schreibtischsessel. Er saß kerzengerade, die Füße auf den Boden gestellt. Die Hände hingen locker über die schmalen Armlehnen. Sein Kopf war nicht einmal auf die Brust gesunken.
Fünf Kinder, doppelte Ausbildung – zuerst zum Ingenieur, dann zum Mediziner –, danach zehn Jahre im Krankenhaus hatten ihn so werden lassen. Ola konnte überall und jederzeit einschlafen, wenn er nur fünf Minuten übrig hatte. Sitzend, liegend, sogar stehend konnte er für einige Sekunden in einen Dämmerzustand gleiten, aus dem er ausgeruht und klar im Kopf erwachte.
Jetzt wurde er vom Telefon geweckt.
Er rieb sich die Augen und griff nach dem Hörer.
»Hanna von der Telemetrie hier«, sagte eine Stimme.
»Ja?«
»Patientin Berit Karlsen, geboren 1974, vor drei Tagen eingewiesen ...«
»Ich weiß Bescheid«, fiel Ola ihr ins Wort. »Worum geht es?«
»Kannst du dir mal ihr EKG ansehen? Angeblich zeigt es Deltawellen.« Olas Finger eilten über die Tastatur, als er weiter zuhörte. Sofort befand er sich im System und suchte sich zu Berit Karlsen durch. Ansonsten gesund, noch jung, zeitweise von sehr schnellem regelmäßigen Herzrhythmus gequält. Passt klinisch gut zum Wolff-Parkinson-White-Syndrom, dachte er, während er das nun auf dem Bildschirm auftauchende EKG musterte.
»Seh nichts«, murmelte er und beugte sich weiter vor, während er die Lider zusammenkniff, um eventuelle Deltawellen
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