Kammerflimmern
entdecken zu können. »Wer behauptet, dass da welche sind?«
»Dr. Zuckerman.«
»Na gut. Aber ich kann wirklich nichts sehen«, sagte er. »Ich werde Dr. Zuckerman anrufen, um mir die Sache von ihr bestätigen zu lassen. Setzt die Patientin nicht auf Tambocor, ehe ich mich gemeldet habe.«
»Danke. Alles klar.«
Eigentlich war es nicht Sara, die er anrufen müsste. Lars Kvamme hatte Bereitschaftsdienst. Wenn Ola irgendwelche Zweifel hatte, sollte er den Bereitschaftsdienst anrufen.
Aber verdammt noch mal, er würde an einem Freitagabend doch nicht Lars Kvamme anrufen.
Nachdem Lars Kvamme zwei Jahre zuvor die enge kollegiale Beziehung zwischen Sara und Ola bemerkt hatte, schien er sich Ola gegenüber alles zu erlauben, was er Sara gegenüber nicht wagte. Zweimal hatte er Ola sogar im Beisein von Kollegen als »Saras Boytoy« bezeichnet.
Obwohl der Bereitschaftsdienst rund um die Uhr als Qualitätssicherung fungieren sollte, zögerte Ola immer ein wenig länger, ehe er am Wochenende jemanden störte.
Und schon gar nicht einen stocksauren Lars Kvamme.
Er wählte Saras Nummer. Nach viermaligem Klingeln fiel ihm ein, dass Sabbat war.
Sara Zuckerman glaubte nicht an Gott, diesen Eindruck hatte Ola jedenfalls. Sie waren vor allem Kollegen, Sara und er, aber seit zwei Jahren sahen sie einander vier-, fünfmal pro Jahr privat. Die Kinder liebten sie. Tarjei wurde rot, wenn Sara auch nur erwähnt wurde. Guro meinte, er durchlebe gerade seine erste richtige Verliebtheit, in eine Frau, die fast dreißig Jahre älter war als er.
Ola konnte den Jungen verstehen.
Sara war keine klassische Schönheit. Dazu war ihr Haar zu ungebärdig und ihr Mund zu groß, und außerdem nahm sie viel zu leicht zu. Aber Sara hatte etwas Exotisches. Nicht nur wegen der strahlend blauen Augen bei ihrem ansonsten dunklen Teint oder wegen der üppigen Lippen. Das Fremdartige lag eher in ihrem Auftreten. Wie sie sich bewegte, wie sie sprach, herzlich lachte oder kühl ironisierte: Sara Zuckerman füllte einen Raum in dem Moment, in dem sie ihn betrat. Sie war die stärkste, arroganteste und beeindruckendste Frau, der Ola Farmen je begegnet war.
Aber er wusste fast nichts über ihr Privatleben.
»Hallo«, hörte er zum zweiten Mal, ehe er sich zu einer Antwort sammeln konnte.
»Hallo«, sagte er hilflos. »Ola hier.«
»Ja, hallo. Warte einen Moment.«
Er hörte Scharren und eine zufallende Tür. Es klang wie eine Ofentür.
»Hier bin ich«, sagte Sara gleich darauf. »Was ist los?«
»Es geht um eine Patientin«, sagte Ola zögernd. »Berit Karlsen, geboren 1974, sie wurde eingewiesen wegen ...«
»Warum rufst du nicht den Bereitschaftsdienst an?«
Die Schärfe ihrer Stimme veranlasste ihn, in seinen rechten Daumennagel zu beißen.
»Lars Kvamme«, sagte er leise. »Der hat Bereitschaftsdienst. Ich ruf ihn nur an, wenn es unbedingt sein muss. Und du hast dir ihr EKG angesehen und gesagt, dass darauf Deltawellen zu erkennen seien. Ich finde keine, aber es kann ja sein, dass ...«
»Setz sie auf Tambocor«, fiel Sara ihm ins Wort, »100 Milligramm mal zwei. Gib eine kleine Dosis Betablocker dazu, sicherheitshalber.«
Ola notierte alles auf einem alten Flugschein, den er noch nicht bei Eurobonus eingereicht hatte. »Gut«, sagte er. »Danke. Entschuldige die Störung.«
»Du kannst mir im Gegenzug einen Gefallen tun. Ich habe vergessen, meinen Funkmelder im Büro in den Lader zu stecken. Könntest du das für mich tun? Er liegt auf dem Schreibtisch oder steckt in der Kitteltasche. Der Kittel hängt am Haken hinter der Tür.«
»Sicher«, sagte er.
»Sonst noch was?«
Er gab keine Antwort.
»Hallo? Ola?«
»Sara«, sagte er und zögerte. »Feierst du Sabbat? Du arbeitest doch ab und zu am ...«
»Sabbat wird nicht gefeiert. Der wird gehalten. Du feierst doch auch nicht Sonntag, Ola!«
Wieder wurde es ganz still zwischen ihnen.
»Und die Antwort ist Ja«, fügte sie schließlich hinzu. »Wenn ich es ermöglichen kann. Wegen Thea. Ich halte so wenig von Gott wie von anderem Aberglauben. Für den Weihnachtsmann habe ich allerdings etwas übrig. Keine gute Jüdin, wenn du verstehst.«
Ola fühlte sich peinlich berührt. Nicht so sehr, weil er gefragt hatte, sondern weil sie sich verpflichtet gefühlt hatte, ihm zu antworten. Sara verfügte über eine ganz besondere Fähigkeit, um die Dinge herumzureden, wenn sie keine Lust hatte, sich zu öffnen. Meistens hatte sie keine. Es war zu einem fast liebevollen Spiel zwischen
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