Kammerflimmern
fallen. Ein scharfer Alkoholgeruch verbreitete sich im Zimmer. Danach öffnete sie die zweite Flasche und reichte sie Tommy. »Gießen Sie etwas davon über meine Hände«, sagte sie. »Langsam.«
Tommy rümpfte die Nase und trat einen Schritt zurück.
»Ich mache das«, sagte Bjørg und riss die Flasche an sich.
Sara zog ihre vielen Ringe ab und legte sie auf den Tisch, zusammen mit ihrer Armbanduhr und dem schweren Goldarmband. Danach rieb sie sich gründlich die Hände mit Alkohol ein und streckte die Arme aus. Ohne Aufforderung nahm Bjørg Aamodt vorsichtig die Schüssel mit den Instrumenten und stellte sie neben den Kopf ihres Mannes auf den Couchtisch.
»Können Sie ihm den Ärmel hochkrempeln und den Verband abnehmen, ehe Sie Alkohol über die Wunde gießen?«
»Ich habe hier sterile Kompressen«, sagte Bjørg und öffnete ein rotes Erste-Hilfe-Kissen. »Einen Moment, dann mache ich ihn bereit.«
»Meine Güte«, sagte Ola. »Sind Sie Krankenschwester?«
»Hebamme«, sagte sie kurz. »Wenig Erfahrung mit solchen Geräten, große Erfahrung mit Leben und Tod.«
Klaus Aamodt hatte mit der rechten Hand den Sofarücken gepackt. Er wand sich schon bei der Säuberung der Wunde.
»Es wird ein wenig ziepen«, sagte Sara und schnitt einen Faden nach dem anderen durch.
Mit der Pinzette zog sie die Fäden heraus. Die Wunde weitete sich mit jedem Faden, der gezogen wurde. Als alle verschwunden waren, legte sie zwei Finger auf jede Seite und zog die fünf Zentimeter lange Öffnung weit auseinander.
Klaus Aamodt stöhnte. Er drehte den Kopf nach rechts und atmete in kurzen Stößen durch zusammengebissene Zähne.
»Bald fertig«, sagte Sara und schob den Finger resolut unter Haut und Fett.
Der Herzstarter glitt heraus, als wäre er mit Öl eingeschmiert gewesen. »Jetzt muss ich nur noch zwei Schrauben lockern, um ihn von der Leitung zu Ihrem Herzen zu entfernen«, sagte Sara und suchte in der Alkoholschüssel nach dem Schraubenzieher aus Olas Tasche. »Sie müssen atmen, Klaus. Versuchen Sie zu atmen, auch wenn es wehtut. Da ...«
Die eine Schraube war herausgedreht.
»Und da«, sagte Sara und zog den ICD aus dem Brustkasten, dann drückte sie mit zwei sterilen Kompressen die Wundflächen aneinander. »Ich nehme Pflaster zum Haften. Noch zwei Minuten, dann ist alles vorbei.«
»Das will ich verdammt noch mal auch hoffen«, sagte Tommy atemlos und gönnte sich einen guten Schluck aus einer der Flaschen.
Wenn es nur so wäre, dachte Ola.
Wenn nur wirklich alles vorbei wäre.
13.15 Uhr
Wells Hotel, Vincent Square, London
Es war ein wahnsinniger Tag an der Börse.
Audun Berntsen saß an seinem Stammplatz im Wells Hotel. Er hatte sich am Vorabend am Riemen reißen können und war ziemlich nüchtern ins Bett gegangen. Schon um sechs Uhr war er aufgestanden, um sich bereitzumachen. Die EU und der Internationale Währungsfonds hatten beschlossen, dem Wrack in der Ägäis sechstausend Milliarden Kronen als Krisendarlehen zuzuschustern. Seit Wochen hatten die Börsen aufgrund von Griechenlands wirtschaftlichem Ruin große Nervosität gezeigt. Jetzt sprudelten sie wie frisch geöffneter Champagner, und Audun hatte eine Flasche selbigen Getränks vor sich stehen.
Bei Öffnung der Osloer Börse hatte er für eine Million Kronen Aktien der Hurtigrute gekauft. Nachdem der Börsenlöwe Trygve Hegnar in den ewig vom Konkurs bedrohten Laden eingestiegen war, hatte sich alles gebessert. Der gewaltige Optimismus, der sich nach der Darlehensgewährung verbreitet hatte, würde für die Tourismusbranche von großer Bedeutung sein.
Er glaubte an diese Aktien und setzte alles darauf.
Und jetzt sah es so aus, als würde er einen Tagesgewinn von 250 000 einfahren können. Das war natürlich noch längst nicht genug, aber er würde endlich wieder flüssig sein. Glücklich schenkte er sein hohes Glas wieder voll. Die Frau hinter dem Tresen hatte ihm unaufgefordert einen Champagnerkelch gebracht, als sie gesehen hatte, wie er Cristal in einen Pappbecher goss.
»Möchtest du?«, rief er plötzlich und hob sein Glas.
Vivian sah ihn überrascht an.
»Ich arbeite«, kicherte sie und faltete ihre Klatschzeitung zusammen.
»Ich auch. Ich arbeite wie verrückt!«
»Vielleicht einen kleinen Schluck«, sagte sie und erhob sich. »Was feierst du denn eigentlich?«
»Das Leben«, sagte Audun Berntsen und leerte sein Glas.
17.53 Uhr
Odins gate 3, Oslo
»Lars?«, fragte Agnes Klemetsen und blieb überrascht stehen, als sie
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