Kammerflimmern
sich ihrer Haustür näherte. »Bist du’s?«
Lars Kvamme lächelte und beugte sich vor, um sie zu umarmen. Da sie in einer Hand eine Aktentasche und in der anderen eine Einkaufstüte hielt, wurde es eine ziemlich einseitige Umarmung.
»Warum stehst du hier?«, fragte sie, um ihn zum Loslassen zu bringen.
»Ich muss mit dir reden, Agnes.«
»Warum hast du nicht angerufen? Ich habe es ziemlich eilig, ich muss zu ...«
»... einem Essen im Restaurant Ekeberg«, vollendete er den Satz. »Das weiß ich. Ich habe versucht, dich zu erreichen, und deine Sekretärin hat von dieser Verabredung mit den alten Kumpels von Aker erzählt. Røkke und so ... du hast das fein hingekriegt, Agnes!«
»Unni hat sicher nicht Kumpels gesagt«, murmelte sie und suchte in der Tasche nach ihren Schlüsseln. »Und Kjell-Inge wird überhaupt nicht dabei sein. Aber warum ...«
»Ich muss mit dir reden«, sagte Lars noch einmal. »Über etwas sehr Wichtiges.«
Agnes Klemetsen seufzte, als sie den Schlüssel umdrehte.
Das Beste, was sie über Lars Kvamme sagen konnte, war, dass er eine sympathische vierzehn Jahre jüngere Frau hatte. Da die beiden Frauen Jugendfreundinnen waren, hatten sie noch immer Kontakt, und deshalb hatte Agnes in all den Jahren versucht, Lars zu ertragen. In jüngeren Jahren war er charmant gewesen. Offen und selbstsicher, und das mit gutem Grund. Er war groß und durchtrainiert, und als sie ihn kennengelernt hatte, war er mit nur zweiunddreißig Jahren bereits Internist gewesen. Inzwischen war aber etwas geschehen, was zumindest Agnes nicht verstehen konnte. Ein bitterer Unterton lag in allem, was er sagte, und sie konnte nur dann etwas von dem Lars von früher erkennen, wenn er mit seinem vierzehn Jahre alten Sohn zusammen war. Der Junge war ein Einzelkind, stark belastet von Cerebralparese und der Einzige, der Lars Kvamme dazu bringen konnte, ohne Ironie zu lachen.
»Ich habe wirklich schrecklich wenig Zeit«, sagte sie und öffnete die Tür.
»Es geht um Mercury Medical«, sagte er.
Sie starrte ihn an. »Na gut«, sagte sie langsam.
Ohne ihr beim Tragen zu helfen, ging er hinter ihr durch die riesige Eingangstür und dann die breite Steintreppe in den ersten Stock hinauf.
Erst als sie bei ihrer Wohnung angekommen waren, bot er an, ihre Einkaufstüte zu halten, während sie aufschloss.
»Was hast du mit Mercury Medical zu tun?«, fragte sie, als sie die Wohnung betraten.
»Ich habe jeden Tag mit Mercury zu tun.«
»Schon. Das ja, ich meine ...«
Sie zeigte auf einen kleinen Tisch unter einem Spiegel. Lars stellte die Tüte ab und zog seinen Wintermantel aus.
»Ich brauche eine Viertelstunde, Agnes. Fünfzehn Minuten kann doch sogar eine schwer beschäftigte Frau wie du entbehren.«
Sie nahm ihre Einkaufstüte, ohne zu antworten. Lars Kvamme folgte ihr in eine große neue Küche, in der es noch nach Leim und Holzspänen roch. In der Ecke stand ein Stapel zusammengefalteter Pappkartons.
»Schöne Küche«, sagte er. »Du hast Geld, sehe ich.«
»Ich kann dir nichts anbieten«, sagte Agnes. »Außer Wasser.«
»Vielleicht stimmt beim Deimos etwas nicht«, sagte er und setzte sich auf den einzigen Stuhl, ohne auf ihr Angebot einzugehen.
»Deimos? Mercury Deimos?«
»Ja.«
Sie schüttelte kurz den Kopf, während sie ihre Einkäufe in den leeren Kühlschrank stellte. »Ist dir klar, welche Erfolge dieses Gerät schon hatte?«
»Ja«, antwortete Lars. »Ich würde kein anderes Fabrikat nehmen, wenn ich die Wahl hätte. Aber jetzt ist die Verwendung des Deimos mit einem Totalverbot belegt worden. Bis auf Weiteres, heißt es, und das liegt an ...«
»Moment mal«, fiel sie ihm ins Wort. »Was verstehst du unter Totalverbot?«
»Hör mir doch zu«, sagte er gereizt. »Sara Zuckerman, die Abteilungsoberärztin, hat uns verboten, ab sofort und bis auf Weiteres den Deimos zu verwenden. Sie schiebt die Einkaufsregeln vor.«
»Das ist doch eine absolut legitime Erklärung. Wieso platzt du dann hier herein und behauptest, dass ...«
»Zwei Patienten sind gestorben«, unterbrach er sie. »Beide hatten zwei Tage vor ihrem Tod einen Deimos eingesetzt bekommen.«
»Erik Berntsen«, sagte sie langsam.
»Ja. Er und noch einer. Sara Zuckerman ist plötzlich wie ausgewechselt. Sie hat einfach so meinen Sonntagsdienst übernommen. Sie und einer ihrer gehorsamen Laufburschen lungern rund um die Uhr im Krankenhaus herum. Und jetzt pocht die Dame auf Regeln, für die sie bisher nur Verachtung
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