Kammerflimmern
beiden und eurer Kompetenz ist selten, Ola. Und deshalb glaube ich, dass ihr ... ausgesucht worden seid.«
»Aber wer um alles in der Welt ...«, begann Ola. »Warum sollte irgendwer Leute umbringen wollen, um ...«
»Um Mercury Medical zu schaden«, fiel Sara ihm ins Wort. »Glaubst du, dass irgendwer es auf Mercury Medical abgesehen hat?«
»Wir sind uns doch einig, dass dieses Virus von Medical hergestellt worden ist«, sagte Ola verzweifelt, ohne auf Antwort zu warten. »Wer würde denn ... sich selbst schaden wollen?«
»Keine Ahnung«, sagte Skule Holst. »Aber es erscheint wenig wahrscheinlich, dass dieses ... Teil ...«
Er legte die Hand auf die Programmiermaschine mit dem aufgeklebten Silberkreuz.
»... zufällig bei euch gelandet ist. Irgendwer wollte, dass das Virus so schnell wie möglich entdeckt wird.«
Er griff nach seinem Koffer und ging auf die Tür zu. Sara und Ola blieben unschlüssig stehen. Ehe Skule Holst die Tür erreicht hatte, drehte er sich noch einmal kurz zu ihnen um: »Wenn ihr nicht spätestens morgen früh die Behörden verständigt, dann tue ich das. Hier ist ja immerhin die Rede von vorsätzlichem Mord.«
21.10 Uhr
Odins gate, Oslo
Agnes Klemetsen konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, wann sie zuletzt einen Abend zu Hause verbracht hatte. Es musste viele Wochen her sein. Es war zwar schon nach neun, aber zwei Stunden lang würde sie doch tun können, was sie wollte.
Was nicht viel war.
Sie hatte bei allen Fernsehserien den Anschluss verloren. Ihr DVD-Gerät war defekt. John Irvings letzter Roman lag auf ihrem Nachttisch, aber jeden Abend schlief sie schon vor Seite 10 ein und konnte sich am nächsten Tag kaum an etwas erinnern. Das Buch blieb einfach dort liegen, auf einem Stapel literarischer Perlen, die sie sorgfältig ausgesucht hatte, falls die Zeitung Dagens Næringsliv anrief.
Die Freude über den freien Abend verflog bereits, als sie die Schlüssel auf den Tisch in der Diele warf und ihren Mantel an die bunte Hakenreihe aus dem Andenkenladen des MoMa hängte.
Sie streifte die Schuhe ab und ging mit der Post ins Wohnzimmer.
Alles roch sauber.
Unbewohnt, dachte sie. Ein schwacher Geruch nach synthetischen Reinigungsmitteln war von der Putzfrau hinterlassen worden, die unnötigerweise jeden Mittwoch kam.
Im Sommer, dachte Agnes und ließ sich aufs Sofa sinken. Im Sommer wird alles besser.
Sie hatte drei Briefe erhalten. Einen Bittbrief von Ärzte ohne Grenzen, die Ankündigung einer Nachbarschaftsaktion am nächsten Samstag und die Stromrechnung, die schon durch Einzugsermächtigung erledigt war.
Agnes legte die Papiere auf einen gläsernen Couchtisch. Ihre Füße schmerzten, nachdem sie den ganzen Tag in ein Paar neue Schuhe eingeklemmt gewesen waren. Ein Ziehen im Kreuz wurde immer schlimmer, und die üblichen Kopfschmerzen waren im Anzug. Sie schloss die Augen und fühlte sich plötzlich vollkommen entkräftet.
Die Wohnung war so still, dass es in ihren Ohren sauste.
Sie könnte eine Freundin anrufen. Jemanden einladen. Ein Glas Wein trinken, plaudern.
Es war Mittwochabend, dachte sie dann. Die Freundinnen, die sie vielleicht noch hatte, brachten jetzt ihre Kinder zu Bett, schmierten Brote, machten mit widerwilligen Teenagern Hausaufgaben.
Bei der bloßen Vorstellung besserte sich ihre Laune.
Die Stille veränderte sich. Sie legte sich um sie wie eine Geborgenheit schenkende Decke. Sie hatte sich für dieses Leben entschieden. Sie war ein Einzelkind mit alten Eltern gewesen, die nun beide tot waren, und ab und zu verspürte sie einen Hauch von Glück darüber, dass sie allein war. Einfach frei.
Der Gedanke an Lars Kvamme tauchte so rasch und unfreiwillig auf, dass sie zusammenzuckte.
Lars war für die ihm zugewiesene Viertelstunde geblieben und hatte sich nur mit großer Mühe zum Gehen überreden lassen. Die Enttäuschung war ihm anzusehen gewesen, als er zur Tür geschlurft war, ohne dass sie ihm irgendetwas versprochen hätte.
Agnes Klemetsen hatte das Ganze bagatellisiert, und das nicht nur, um sich von dem ungebetenen Gast zu befreien. Sie glaubte wirklich, dass er sich irrte.
Erstens war es unvorstellbar, dass bei Mercury Deimos etwas schiefgehen könnte. Die Entwicklungskosten waren astronomisch gewesen, die Sicherheitskontrollen extrem. Sollte aber doch Mercurys Herzstarter einen Mangel aufweisen, dann war es erst recht unwahrscheinlich, dass der zuerst in einem kleinen Krankenhaus in Norwegen entdeckt würde.
So hatte
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