Kammerflimmern
Danach müssen wir die gesamte Krankenhausleitung verständigen.«
»Jetzt?«
Ola schaute auf die Uhr. »Um Viertel nach zehn?«
»Ja. Du wolltest das doch die ganze Zeit.«
Sie nahm den ICD-Ausdruck und steckte ihn in die Kitteltasche.
Ola ging zum Drucker und holte den kleinen Papierstapel. Er schob ihn in eine Plastikmappe und drehte sich zu Sara um, die schon zur Tür lief. »Das wird einen Knall geben«, sagte er.
»Ja. Einen verdammt lauten.«
Und mitten in dieser Explosion wird Otto Schultz stehen, dachte sie, als sie Ola verließ und zu ihrem eigenen Büro lief.
Sie wusste nicht, ob sie sich freute oder Mitleid mit dem alternden Stier hatte. Vermutlich eher Ersteres, aber das hätte sie niemals zugegeben.
Nicht einmal sich selbst gegenüber.
4.17 p.m.
Upper East Side, Manhattan, NYC
Rebecca wusste nicht, was sie geweckt hatte, und starrte verwirrt vor sich hin. Wie immer griff sie nach dem Glas. Das war nicht da. Sie musste es umgestoßen haben, als sie aufgewacht war, denn es lag in einem dunklen Fleck auf dem Teppich.
Die Türklingel ertönte. Zweimal.
Und die hatte sie geweckt.
Sie hatte keine Ahnung, wer es sein konnte. Sie erwartete keinen Boten mit Speis und Trank von Samson’s, sie hatte keine Kleider in der Reinigung, und Orty kam nie unangemeldet. Die Nachbarn hatten sie schon seit Jahren aufgegeben.
Noch einmal der Klingelton.
Dass jemand klingelte, war so überraschend, dass sie gar nicht wusste, was sie jetzt tun sollte. Sie konnte eigentlich nur aufstehen. Sie schleppte sich zur Diele und zog ihre Kleider irgendwie gerade.
Der Spiegel dort draußen, der riesige goldgerahmte Spiegel, lag zum Glück im Halbdunkel. Sie wandte ihr Gesicht ab, als sie daran vorüberschlurfte. Bei der schweren Wohnungstür blieb sie für einen Moment stehen.
Vermutlich roch sie schlecht. Nach Schlaf und Schnaps.
Vorsichtig schob sie den kleinen Metalldeckel vom Guckloch. Das saß so weit oben in der Tür, dass sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste. Sie trotzte dem Schmerz, als sie sich reckte, und hielt das Auge vor das Loch.
Niemand zu sehen.
Das Guckloch war extrem weitwinklig, und sie konnte fast das gesamte Treppenhaus überblicken. Der Fahrstuhlschacht befand sich gegenüber von ihrer Wohnungstür, und dem leuchtenden Display konnte sie ansehen, dass gerade jemand nach unten fuhr. Das Bild des Treppenhauses war rund wie ein Tunnel. Ganz unten an der Wand stand ein Päckchen.
Rebecca öffnete die beiden Sicherheitsketten, schob den klobigen Riegel zurück und öffnete die Tür. Das Päckchen war an die Tür gelehnt worden und fiel ihr entgegen.
Blumen, dachte sie überrascht.
Jemand hatte ihr Blumen geschickt.
Steif und langsam bückte sie sich und hob das Päckchen auf. Es war überraschend schwer, und sie konnte es mit ihren schmerzenden Fingern nicht halten. Deshalb schob sie es sich unter den Arm, ehe sie die Wohnungstür wieder schloss und die Wohnung gegen die Umwelt versiegelte.
Als sie zur Küche stapfte, verspürte sie etwas wie Freude. Sie hatte seit vielen Jahren keine Blumen mehr bekommen, Orty brachte immer teurere Dinge mit. Dieser Strauß konnte allerdings auch nicht billig gewesen sein, sie kannte den Blumenladen noch aus der Zeit, als sie häufig Sendungen von dankbaren Patienten, von John oder nach ihren großartigen Essenseinladungen von Freunden erhalten hatte.
In der Küche roch es nach verdorbenen Lebensmitteln.
Rebecca rümpfte die Nase und öffnete den unteren Schrankteil, wo der Mülleimer stand. Der Gestank quoll aus dem Müllsack, und sie wich zurück. Statt den Müll vor die Tür zu setzen und den Hausmeister anzurufen, damit er ihn holte, wie Orty das so schön für sie arrangiert hatte, knotete sie den Sack fest zusammen und steckte alles in einen noch größeren Sack, den sie dann in die Anrichtekammer stellte.
Die Blumen waren prachtvoll.
Schwertlilien, kreideweiß und kräftig, zusammen mit champagnerfarbenen Rosen. Ein wenig Grün dazu und ein hauchdünner Golddraht, der den Strauß wie eine Skulptur aussehen ließ.
Rebecca lächelte, als sie zwischen zwei Rosen eine Karte entdeckte. Sie legte sie beiseite, nahm aus einer Vitrine eine Vase und stellte die Blumen mit mühevollen Handbewegungen ins Wasser.
Die müssen ja doch von Orty sein, dachte sie und beschloss, eine Weinflasche zu öffnen, ehe sie den Umschlag aufschlitzte. Sie gönnte sich nur selten Wein. Das wurde zu teuer, aber im Schrank standen immer zwei oder drei Flaschen
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