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Kammerflimmern

Kammerflimmern

Titel: Kammerflimmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Even Anne; Holt Holt
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schmutzige Wäsche lief über, obwohl die Waschmaschine seit Stunden lief. Sechs Garnituren von bekackter Kinderbettwäsche hatten ihn dazu gebracht, dem Dreijährigen Windeln aufzuzwingen, aber der Junge riss sie herunter, sowie der Vater auch nur eine Sekunde wegschaute. Er müsste mit dem Kleinen zum Arzt, aber die Götter allein mochten wissen, wie er das machen sollte. Wenn es dem Kleinen am nächsten Morgen nicht besser ging, würde er seine Mutter anrufen müssen. Wie so oft.
    »Aber, aber, meine Kleine«, flüsterte er und merkte, dass er jeden Moment zusammenbrechen könnte. »Papa passt auf, weißt du.«
    Die Türklingel ertönte.
    Sivert Sand fluchte in Gedanken.
    Die Kleine war fast eingeschlafen.
    So schnell er konnte, lief er zur Tür. Er schob das wieder schreiende Kind auf seinen linken Arm und machte sich mit der rechten Hand am Schloss zu schaffen. Endlich sprang die Tür auf.
    »Hallo«, sagte der Mann da draußen und trat auf der Treppe einen Schritt zurück.
    »Was willst du?«
    »Ich ...«
    Dr. Farmen kam nicht weiter. Er sah aus wie ein Idiot, wie er dort stand und sich am Nacken kratzte, weil ihm nichts einfiel. Ungepflegt wie immer, dachte Sivert Sand irritiert, bis ihm einfiel, dass er auch nicht gerade präsentabel wirkte. Er hatte Dr. Farmen noch nie leiden können, und was der Kerl hier mitten in der Nacht an seiner Tür zu suchen hatte, war unbegreiflich.
    »Was willst du?«, fragte er gereizt. »Ich muss mich um zwei kranke Kinder kümmern.«
    »Ach«, sagte Dr. Farmen. »Was fehlt ihnen denn?«
    »Das geht dich ja wohl nichts an!«
    Sivert Sand versuchte, leise zu sprechen.
    »Ich hab einen Dreijährigen mit Durchfall«, fauchte er wütend. »Und die Kleine hier hat Koliken oder irgendwas anderes, was mich jetzt seit zwei Tagen wach hält.«
    »Zuckerwasser«, schlug Ola Farmen vor und trat noch weiter zurück. »Versuch es mit zwei Esslöffeln Zuckerwasser. Viel Glück und entschuldige die Störung.«
21.55 Uhr
Wells Hotel, Vincent Square, London
     
    »Bist du einfach gegangen?«, fragte Vivian und stützte sich erschrocken auf ihren linken Ellbogen. »Bist du einfach gegangen, als dein Vater gestorben ist?«
    »Was hätte ich denn sonst tun sollen?«
    Audun Berntsen zog die Decke um sich zusammen. »Ich habe Wiederbelebungsversuche und alles probiert. Das Ganze war total grotesk, eben hatte er noch mit mir geredet, dann brach er plötzlich zusammen. Er wurde ganz grau im Gesicht, und ich ...«
    »Also entschuldige«, sagte Vivian und setzte sich auf.
    Das gedämpfte Licht der Lampe auf dem Schreibtisch ließ ihre Haut fast durchsichtig wirken. Sie schlang die Arme um die Beine und legte das Kinn auf die Knie. Ihre langen Haare streichelten seinen Oberkörper.
    »Was in aller Welt wolltet ihr denn da im Wald? Wenn er eben erst operiert worden war und Herzprobleme hatte, dann ...«
    »Typisch mein Vater«, fiel Audun ihr ins Wort und spielte mit ihren rotblonden Haaren. »Wir waren für Viertel vor sieben auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus verabredet. Ich musste doch um halb zehn das Flugzeug erwischen, deshalb hatte ich nicht endlos viel Zeit. Aber er wollte nicht, dass ich ins Krankenhaus käme. Typisch!«
    Er atmete schwer und schaute zum Fenster hinüber. Der Lärm der Großstadt draußen war so deutlich, dass man glauben könnte, das Fenster wäre geöffnet.
    »Er hat sich meiner immer geschämt. Jedenfalls seit ich so um die zehn war und nicht mehr nach seiner Pfeife tanzte. Du hättest mal sein Büro sehen sollen. Nachdem sie in Norwegen ein neues Zentralkrankenhaus gebaut hatten, und das ist verdammt noch mal viele Jahre her, war ich nur einmal in seinem Büro. Da standen schöne Bilder von meinen Schwestern. Von den Kindern der älteren. Von meiner Mutter. Aber von mir? Ha!«
    Die Faust knallte auf die Bettdecke.
    »Kein verdammtes Bild. Als ich ihn am vorigen Mittwoch angerufen und gesagt habe, ich müsste über etwas Wichtiges mit ihm sprechen, entweder noch abends oder am nächsten Morgen, sagte er, wir könnten uns draußen treffen. Vor dem Krankenhaus! Ich war verdammt noch mal nicht mal gut genug, um am Krankenbett seinen Scheißkollegen gezeigt zu werden.«
    »Du Armer«, sagte Vivian mit großen Augen. »Aber wie seid ihr dann im Wald gelandet?«
    »Der Wald ist nicht weit weg. Nicht so wie hier. Bærum ist klein. Ich habe nur zehn Minuten gebraucht, um zum Parkplatz zu fahren. Auch das war typisch für meinen Vater. Er wusste, dass ich es eilig hatte, und

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