Kammerflimmern
hatte er erklärt, aufgrund der obwaltenden Umstände nicht mit ihm sprechen zu können.
Jetzt war Morten auf dem Weg, um Ordnung zu schaffen, wie er sagte. Er wollte es sich doch verbeten haben, abgewiesen zu werden, wenn er, als oberster Vertreter von Mercury Medical in Nordeuropa, dringende Fragen zu den eigenen Produkten hatte.
Agnes hatte vergeblich versucht, ihn zurückzuhalten. Wenn mit dem Deimos wirklich etwas nicht stimmte, wie es ja auf der Hand lag, sollte man sich so ruhig verhalten wie möglich.
Sie hatte das Gespräch mit Morten Mundal vor zehn Minuten beendet, und noch immer saß sie hilflos da und starrte vor sich hin.
Wie um ihre Handlungsunfähigkeit abzuschütteln, klickte sie sich bei der London Stock Exchange ein.
Mercury Medical stand zu Beginn der Fallers , übertroffen nur noch von BP.
Gefallen um 3,9 Prozent.
Nur aufgrund von Gerüchten.
Ohne eine einzige bestätigte Information am Markt waren die Aktien innerhalb einer Viertelstunde um fast vier Prozent gesunken.
Sie surfte zu einigen Gerüchtebörsen und wurde immer bedrückter. Die Spekulationen darüber, was passiert sein mochte, waren wild und unterschieden sich von Forum zu Forum, aber die Hauptbotschaft war überall: Mercury Medical wird sinken, sehr stark sinken. Niemand weiß, wie tief. Verkaufen!
Sie loggte sich aus.
Die Stille im Zimmer kam ihr bedrückend vor, und als sie das bis zum Rand mit Eiswürfeln gefüllte Wasserglas hob, schien das spröde Klirren von Eis an Glas von weit, weit her zu kommen.
Das hier war das pure Fegefeuer. Nichts zu wissen und doch Otto Schultz anrufen zu müssen.
10.20 Uhr
Parkplatz vor dem GRUS, Bærum
Sara Zuckerman konnte sich nicht erinnern, je so außer sich gewesen zu sein. Ihr war glühend heiß, trotz des wütenden Windes, der den Regen seitwärtstrieb und sie unter ihrem Regenschirm durchnässte.
Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit hatte es ihr die Sprache verschlagen. Sie hatte einfach dort gesessen, in einem Besuchersessel im Büro des Krankenhausdirektors, ohne auch nur ein einziges Wort sagen zu können.
Sie war beurlaubt worden.
Bis auf Weiteres beurlaubt von ihrer Stellung als Professorin und Abteilungsleiterin am GRUS.
Eine Ganzheitsbewertung, hatte der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches gesagt.
Da sie die Krankenhausleitung nicht über ein folgenreiches Versagen der Instrumente informiert hatte.
Unzulässiges Verhalten in Verbindung mit der Explantation eines ICD bei dem Patienten Klaus Aamodt, hatte Svein-Arne Gran von einem Papier abgelesen, das er dann auf seinen Tisch legte und von ihr unterschreiben lassen wollte. Natürlich hatte sie ihren Namen unter keinerlei Schriftstück gesetzt.
Ohne ein Wort hatte sie sich erhoben und das Zimmer verlassen.
Beurlaubt.
Sara Zuckerman, Trägerin des Mirowski-Preises, die beste Kardiologin, von der dieses verdammte Krankenhaus auch nur träumen konnte, ein Weltstar, der sich mit Hugh Calkins und Kenneth Ellenbogen mit Vornamen anredete, war von einem Krankenhausdirektor beurlaubt worden, der ein Krankenpflegerexamen und zwei Kurse in Betriebswirtschaft vorweisen konnte.
Sie war an diesem Morgen in aller Frühe mit einem Taxi zu der Besprechung mit Gran und Benjaminsen gefahren. Thea hatte sie vor vielen Jahren, als das traumatisierte Kind endlich akzeptiert hatte, dass man sich ab und zu eben doch per Auto bewegen musste, schwören lassen, niemals zu fahren, wenn sie müde wäre. Was sie jetzt einwandfrei war. Der Wagen stand zu Hause.
»Sara Zuckerman«, hörte sie jemanden rufen.
Nicht auf Norwegisch, mit langem a in Sara und weichem s.
Jemand rief ihren Namen so, wie er in den USA ausgesprochen wurde.
Die Beifahrertür eines roten Toyota Prius zwanzig Meter weiter öffnete sich.
»Sara!«, rief der Fahrer noch einmal. »Seeeera!«
Sie ging zum Auto und beugte sich ein wenig vor, um zu sehen, wer im Wagen saß.
»What the hell is going on here?«, fragte Morten Mundal und klopfte auf den Beifahrersitz. »Can we talk, Sara?«
Ohne weiter nachzudenken, noch immer erfüllt von einer Wut, mit der sie einfach nicht umgehen konnte, stieg sie ein.
10.22 Uhr
Nedre Slottsgate 14, Oslo
Agnes Klemetsen hielt den Hörer mehrere Zentimeter vom Ohr ab. Otto Schultz war so laut, dass er auch aus seinem Fenster in Manhattan hätte rufen können, um sich auf der anderen Seite des Atlantiks verständlich zu machen.
Es war dort drüben noch nicht einmal halb fünf Uhr morgens, aber dennoch hatte er sie
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