Kammerflimmern
verloren, aber ein Gewinn von knapp zweitausend Kronen war auch kein Grund, nach Hause zu schreiben.
Vielleicht könnte er dennoch nach Hause schreiben.
Einen Brief, einen altmodischen Brief mit der Schneckenpost, wie seine Mutter das immer nannte.
Vorher musste er genug verdienen, deshalb schlug er sich den Gedanken an den Brief aus dem Kopf und klickte sich in die Londoner Börse ein. Surfte rasch bei Risers , Aktien mit steigendem Kurs, sie waren nicht zahlreich und auch nicht gerade beeindruckend. Die Liste der Fallers war schon heftiger. Aus Jux sah er sich die BP-Aktien an, die seit der Katastrophe im Golf von Mexiko am 26. April wie ein Stein gefallen waren. Sie waren auf dem Weg ins große Nichts, wie er dem Diagramm ansah. Rasch wechselte er zurück zur Startseite der LSE und wollte schon weitergehen, um sich Asia anzusehen, als sein Blick abermals auf Firmen fiel, deren Wert gesunken war.
Mercury Medical, sah er.
2,1 Prozent gesunken.
Gesunken? Mercury Medical?
Audun öffnete die Market News und gab den Namen der Gesellschaft ein.
»No news available.«
Seltsam. Mercury Medical war die langweiligste Aktie der Welt. Sie kroch in gleichmäßigem Tempo aufwärts, und das schon seit Gründung der Firma vor zehn Jahren. Er hatte sich nie für diese Art Papiere interessiert. Sein Vater dagegen hatte für eine halbe Million Mercury-Aktien gekauft, seit sie auf den Markt gekommen waren, und sie zwischen den Töchtern aufgeteilt. Auf den Jungen sei ja doch kein Verlass, hatte er gesagt, als die Mutter der Kinder angedeutet hatte, das sei möglicherweise nicht ganz gerecht.
Die müssen heute ganz schön viel wert sein, dachte Audun und freute sich über den Absturz. Rasch klickte er sich weiter zur Gerüchtebörse seines Vertrauens.
Nichts.
Und nirgendwo.
Er trank noch einen Schluck von dem bitteren Kaffee. Als er den kitschigen Becher wegstellte, klickte er sich aus alter Gewohnheit bei HegnarOnline ein. Im Diskussionsforum ging es wie immer hoch her, mit Informationen, Behauptungen, Gerüchten, Tatsachen, purer Schikane und wilder Mischung. Audun öffnete die Rubrik »Ausländische Aktien« und scrollte sich die Seite hinunter, ohne etwas zu finden, was mit Mercury Medical zu tun hatte. Als er gerade weitersurfen wollte, tauchte ein neuer Beitrag auf.
Der Autor nannte sich Jaffaboy, und die Überschrift war aufregend genug.
Probleme bei Mercury Medical?
Die Polizei wurde eingeschaltet, nachdem in der letzten Woche im GRUS mehrere Patienten den Löffel abgegeben haben. (Ja, ist klar, im Krankenhaus wird gestorben, aber das hier scheint etwas anderes zu sein, zum Teufel!) Offenbar geht es um hochtechnologischen Kram von MM. Steht Tante Sicherheit persönlich vor dem Sturz? Wenn man gestern da nur geshortet hätte!
Ansonsten bin ich der Meinung, dass PCIB totaaaaal überschätzt wird.
Schon fünf Leser, sah Audun. Sieben, als er aktualisierte. Elf beim nächsten Mal. Als er ein weiteres Mal auf »refresh« drückte, war die Mitteilung verschwunden.
Audun fühlte sich hellwach und so klar im Kopf, dass er sich bei einem Lächeln ertappte.
10.15 Uhr
Nedre Slottsgate 14, Oslo
Irgendetwas zog herauf, und das Gefühl, keine Kontrolle zu haben, wurde immer bedrückender. Agnes Klemetsen war nach ihrem Besuch bei Morten Mundal zu Kaffepikene in Nydalen gegangen. Einen Cappuccino mit besonders viel Milch und drei Morgenzeitungen später war sie noch immer so nervös wie nach ihrem Gespräch mit Otto Schultz am Vorabend. Im Büro hatte sie kaum die Tür hinter sich geschlossen, als ihre Sekretärin ihr mitteilte, Morten Mundal habe viermal angerufen. Er hatte auch versucht, sie per Handy zu erreichen, aber da hatte er nur den Anrufbeantworter erwischt.
Die Akkus waren leer, wie Agnes sah, als sie das iPhone aus der Tasche zog.
Sie hatte Morten sofort vom Festanschluss aus angerufen und ihn auf dem Weg zum GRUS im Auto erreicht. Reichlich erregt konnte er mitteilen, dass der eine Programmierer ins Krankenhaus Ullevål gebracht worden sei, ohne dass irgendwer Morten Mundal über die Ursache informieren wollte. Endlich hatte er den anderen Ingenieur erreicht, Sivert Sand, der seit Sonntag mit kranken Kindern zu Hause gewesen war und rein gar nichts wusste.
Danach hatte er es bei Kaare Benjaminsen versucht.
Während Morten ihr von seinem Gespräch mit dem Klinikchef des GRUS erzählte, fiel ihm zweimal das Telefon auf den Boden.
Der Arzt hatte nicht mit ihm reden wollen. Provozierend ruhig
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