Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
nun eine ähnliche Rangordnung von Zielen wie bereits an früherer Stelle ausarbeiten:
Kurzfristige Ziele: konkrete Gipfeltreffen (IWF, WTO, G8 usw.) blockieren und ihren Abbruch herbeiführen.
Mittelfristige Ziele: den »Konsens von Washington« und damit einhergehende neoliberale Theorieansätze zerschlagen, alle neuen Handelsabkommen vereiteln, die Legitimation von Institutionen wie der WTO, des IWF und der Weltbank aushöhlen und sie schlussendlich auflösen; neue Modelle der direkten Demokratie verbreiten.
Langfristige Ziele (zumindest für die radikaleren Elemente): den Staat zerschlagen und den Kapitalismus zerstören.
Auch hier stoßen wir wieder auf das gleiche Muster. Nach dem Wunder von Seattle, als es Aktivisten tatsächlich gelungen war, den Abbruch der Konferenz herbeizuführen, wurden kurzfristige – taktische – Ziele in der Folge nur noch selten
erreicht. Der Hauptgrund hierfür war allerdings, dass Regierungen sich üblicherweise stur stellen, wenn sie sich einer solchen Bewegung gegenübersehen, und schon aus Prinzip dafür sorgen, dass diese ihre Ziele nicht erreichen kann. Dies wurde häufig sogar für wichtiger erachtet als der Erfolg des jeweiligen Gipfeltreffens selbst. Den meisten Aktivisten scheint nicht bewusst zu sein, dass sich die Polizei in vielen Fällen – beispielsweise während der IWF- und Weltbank-Treffen 2001 und 2002 – überhaupt nicht mehr zu helfen wusste und schließlich derart aufwändige Sicherheitsvorkehrungen erzwang, dass dies beinahe einem Abbruch der Treffen gleichkam: Zahlreiche Veranstaltungen mussten abgesagt werden, die Feierlichkeiten waren ruiniert, und die meisten Delegierten hatten gar keine Gelegenheit dazu, sich auszutauschen. Doch der Polizei ging es natürlich nicht darum, ob ein Treffen zwischen hochrangigen Repräsentanten aus den Handelsministerien zustande kam oder nicht. Es ging darum, dass die Demonstranten auf keinen Fall gewinnen durften.
Auch in diesem Fall sind die mittelfristigen Ziele so rasch erreicht worden, dass dies im Grunde die Verwirklichung der längerfristigen Ziele erschwerte. NGOs, Gewerkschaften, autoritäre Marxisten sprangen nahezu umgehend ab; es folgten strategische Debatten, doch wie immer wurden diese indirekt als Diskussionen über Rasse, Privilegiertheit, Taktiken und alles Mögliche andere ausgetragen, eine eigentliche strategische Debatte gab es nicht. Und auch in diesem Fall wurde alles erheblich dadurch erschwert, dass der Staat in seiner Not einen Krieg anzettelte.
Wie bereits erwähnt, können Anarchisten kaum für sich in Anspruch nehmen, das Ende des Kriegs im Irak herbeigeführt zu haben. Die äußerst blutige Nase, die sich das Imperium dort bereits geholt hat, haben sie ebenso wenig mitzuverantworten.
Doch dafür, dass sie indirekt verantwortlich waren, lassen sich sehr wohl Argumente finden. Zwar ist die US-Regierung seit den 1960er Jahren und der Katastrophe in Vietnam ihrer Politik treu geblieben, auf jede drohende demokratische Massenmobilisierung mit einem neuen Krieg zu reagieren. Allerdings muss sie mittlerweile sehr viel vorsichtiger vorgehen. Im Prinzip wissen sie, dass sie ihre Kriegsführung so gestalten müssen, dass Proteste dem Krieg nichts anhaben können. Es gibt gute Gründe zu glauben, dass genau das bei der Planung des Ersten Golfkriegs im Jahr 1991 Berücksichtigung fand. Auch bei der Invasion des Irak stand augenscheinlich weniger die militärische Effektivität im Vordergrund. So beharrte man etwa auf einer kleineren, hochtechnologisierten Armee und setzte vor allem auf den wahllosen Einsatz von Feuerkraft – sogar gegen Zivilisten, mit dem Ziel, die Opferzahlen auf amerikanischer Seite anders als damals in Vietnam möglichst niedrig zu halten. Diese Vorgehensweise schien primär mit der Absicht gewählt, einer möglichen Friedensbewegung zu Hause den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dies würde zumindest erklären, warum es einer fast unvorstellbar chaotischen Gruppe von Guerillakämpfern gelang, die Kräfte der mächtigsten Armee der Welt zu binden und sie sogar zeitweise zu besiegen, und dies, obwohl sie kaum Zugang zu Schutzzonen außerhalb des Landes hatten und ihnen nur geringfügige finanzielle Mittel und kaum militärische Unterstützung zur Verfügung standen. Schließlich verlegten sich die Amerikaner auf eine verzweifelte Kombination aus Todesschwadronen, ethnischen Säuberungen und massiver Bestechung und lieferten das Land im Prinzip ihrem Erzfeind Iran aus. Denn wie
Weitere Kostenlose Bücher