Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
auch bei den Wirtschaftsgipfeln verlieren sie lieber den eigentlichen Krieg, als zuzulassen, dass die Kräfte des zivilen Widerstands zu Hause den Kampf gewinnen.
Perspektiven
(mit einem kurzen Rückblick auf die 1930er Jahre in Spanien)
Wie soll man nun also mit den Gefahren eines Siegs umgehen? Leider kann ich nicht behaupten, hierauf einfache Antworten parat zu haben. Ich habe diesen Aufsatz auch eigentlich eher deshalb geschrieben, um eine Diskussion über dieses Thema ins Rollen zu bringen, um das Problem offenzulegen – und um eine strategische Debatte anzuregen.
Einige Schlussfolgerungen sind jedoch ziemlich offensichtlich. Das nächste Mal, wenn wir eine größere Aktionskampagne planen, täten wir gut daran, zumindest die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass wir gewinnen könnten. Oder dass wir zumindest unsere mittleren strategischen Ziele sehr schnell erreichen und dass in diesem Fall viele unserer Verbündeten abspringen werden. Wir müssen strategische Debatten als das erkennen, was sie sind, selbst wenn sie sich vorgeblich um andere Themen drehen. Nehmen wir ein berühmtes Beispiel: die Diskussionen um die Zerstörung von Eigentum nach Seattle. Bei den meisten dieser Kontroversen handelte es sich meiner Meinung nach in Wirklichkeit um Diskussionen über den Kapitalismus. Diejenigen, die das Einschlagen von Fensterscheiben lautstark verdammten, taten dies hauptsächlich deshalb, weil sie Konsumenten der Mittelschicht dazu bewegen wollten, weltweit zu einer auf Austausch beruhenden, ökologischen Konsumhaltung überzugehen, und weil sie sich mit den Gewerkschaftsbürokratien und Sozialdemokraten im Ausland verbünden wollten. Ein solcher Weg war von vornherein nicht darauf ausgelegt, eine direkte Konfrontation mit dem Kapitalismus heraufzubeschwören, und die meisten derjenigen, die uns dazu drängen wollten, waren zumindest skeptisch, ob der Kapitalismus je wirklich besiegt werden könnte. Viele waren im Grunde für den Kapitalismus, wenn auch in einer stark humanisierten
Form. Denjenigen, die Fensterscheiben einschlugen, war es wiederum gleichgültig, ob sie damit die Hausbesitzer in den Vorstädten verärgerten. Sie hielten es für unwahrscheinlich, dass Vorstadt-Hausbesitzern je eine tragende Rolle in künftigen revolutionären antikapitalistischen Bündnissen zukommen würde. Im Prinzip versuchten sie, die Medien für ihre Zwecke einzuspannen, um auf diese Weise die Botschaft zu vermitteln, dass das System verwundbar sei – in der Hoffnung, all diejenigen zu ähnlichen aufständischen Taten anzuspornen, die sich vielleicht eher einer wirklich revolutionären Bewegung anschließen würden: entfremdete Teenager, unterdrückte People of Color, Arbeiter ohne Arbeitserlaubnis, einfache Arbeiter, die unzufrieden mit ihren Gewerkschaftsbürokraten sind, die Obdachlosen, die Arbeitslosen, die Kriminalisierten, die radikal Unzufriedenen. Falls in Amerika eine militante antikapitalistische Bewegung entstehen sollte, müsste sie genau von solchen Leuten getragen werden: Leuten, die nicht erst davon überzeugt werden müssen, dass das System faul ist, sondern lediglich davon, dass sie daran etwas ändern können. Und selbst wenn es möglich wäre, eine antikapitalistische Revolution ohne Schießereien in den Straßen durchzuführen – was die meisten von uns hoffen, denn, wenn wir ehrlich sind, mit der US Army können wir es nicht aufnehmen –, ist es in jedem Fall völlig ausgeschlossen, dass wir eine antikapitalistische Revolution auslösen und uns dabei die ganze Zeit über peinlich genau an Eigentumsrechte halten. Ja, das wird dann vermutlich heißen, dass die Mittelschicht aus den Vororten als Letztes mit an Bord kommt. Aber wahrscheinlich wären sie sowieso die letzten, die sich einer Revolution anschließen. 6
Letztere Überlegung führt uns zu einer interessanten Fragestellung. Was würde es eigentlich bedeuten, wenn wir siegen, wenn wir nicht nur unsere mittelfristigen, sondern auch unsere langfristigen Ziele tatsächlich erreichen? Momentan ist zwar noch keinem klar, wie dies überhaupt geschehen kann, da keiner von uns noch sonderlich viel Vertrauen in »die« Revolution hat, zumindest nicht in dem Sinne, wie der Begriff im 19. oder 20. Jahrhundert verwendet wurde. Damals verstand man unter einer Revolution, dass es einen einzigen Massenaufstand oder Generalstreik geben würde und dass dann alle Mauern in sich zusammenstürzen würden. Diese allumfassende Idee basierte auf dem
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