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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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alten Traum, dass der ganze Staat unter Kontrolle gebracht werden kann. Dies ist die einzige Möglichkeit, einen derart absoluten und vollständigen Sieg zu erringen – zumindest, wenn von einem ganzen Land oder einem nennenswerten Herrschaftsgebiet die Rede ist.
    Um dies zu verdeutlichen, sollte einmal Folgendes bedacht werden: Was hätte es eigentlich bedeutet, wenn die spanischen Anarchisten im Jahr 1937 tatsächlich »gewonnen« hätten? Es ist verblüffend, wie selten wir uns derartige Fragen stellen. Stattdessen gehen wir einfach davon aus, dass es ungefähr so abgelaufen wäre wie die Russische Revolution, die auf ähnliche Weise ihren Anfang nahm, nämlich mit der allmählichen Auflösung der alten Armee, der spontanen Bildung von Arbeitersowjets und so weiter. Dies geschah jedoch lediglich in den größeren Städten. Auf die Russische Revolution folgte zunächst ein jahrelanger Bürgerkrieg, und erst in dessen Verlauf brachte die Rote Armee sämtliche Teile des alten Russischen Reichs schrittweise unter die Kontrolle der neuen Regierung, ob die jeweilige Bevölkerung dies wollte oder nicht. Stellen wir uns nun vor, dass die anarchistischen Milizen in Spanien die faschistische Armee besiegt hätten und dass diese sich vollständig
aufgelöst hätte. Stellen wir uns nun weiter vor, dass die Anarchisten die sozialistische Regierung der Spanischen Republik aus ihren Ämtern in Barcelona und Madrid gejagt hätten. So hätte wohl ein mustergültiger anarchistischer Sieg ausgesehen. Doch was wäre dann geschehen? Hätten die Anarchisten aus dem gesamten ehemals spanischen Staatsgebiet eine Art Nicht-Republik gemacht, einen Anti-Staat, der innerhalb genau derselben internationalen Grenzen weiterexistiert hätte? Hätten sie in jedem einzelnen Dorf und jeder Gemeinde innerhalb des ehemals spanischen Staatsgebiets ein System von Volksräten errichtet? Wie wären sie dabei vorgegangen? In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht vergessen, dass es damals zahlreiche Dörfer, Städte und sogar ganze Regionen in Spanien gab, in denen Anarchisten kaum oder gar nicht vertreten waren. In etlichen Gegenden bestand praktisch die gesamte Bevölkerung aus konservativen Katholiken oder Monarchisten; in anderen (beispielsweise im Baskenland) gab es eine militante und gut organisierte Arbeiterklasse, die jedoch überwiegend sozialistisch oder kommunistisch eingestellt war. Sogar auf dem Höhepunkt des revolutionären Eifers wären vermutlich nicht wenige von ihnen den alten Werten und Ideen treu geblieben. Hätten die Anhänger der siegreichen FAI versucht, sie alle auszulöschen – wären Millionen von Menschen getötet worden. Hätte man sie außer Landes gejagt, sie in anarchistische Gemeinden zwangsumgesiedelt oder sie in Umerziehungslager deportiert, hätten die Anarchisten sich nicht nur Gräueltaten ersten Ranges schuldig gemacht, sondern sich zugleich von der Idee verabschieden müssen, Anarchisten zu sein. Es ist demokratischen Organisationen schlicht nicht möglich, Gräueltaten von solch systematischem Ausmaß zu begehen: Dafür braucht es hierarchische Organisationen kommunistischen oder faschistischen Stils. Der
Grund dafür ist, wie die Geschichte lehrt, dass Menschen in kurzen Augenblicken höchster Erregung zwar zu außerordentlichen Grausamkeiten fähig sind; wirkliche Gräueltaten brauchen jedoch Zeit. Man kann nicht einfach Tausende von Menschen dazu bringen, systematisch Hunderttausende von hilflosen Frauen, Kindern und alten Menschen niederzumetzeln, Gemeinden zu verwüsten oder Familien aus ihren angestammten Häusern zu vertreiben. Das sind Projekte, die ein hohes Maß an methodischer Planung erfordern. Möglich ist dies nur, wenn sich die Menschen einreden können, dass jemand anders dafür verantwortlich ist und sie ja nur Befehle befolgen.
    Folglich scheint es nur zwei mögliche Lösungen für die angedachte Problemstellung zu geben.
Die Spanische Republik als De-Facto-Regierung unter den Sozialisten weiterbestehen lassen, vielleicht mit einigen anarchistischen Ministern (wie es während des Kriegs tatsächlich der Fall war), sie die Regierungskontrolle über diejenigen Gebiete mit rechter Mehrheit übernehmen lassen und sie dann dazu bringen, sich auf eine Art Abkommen einzulassen, das es den Großstädten, Kleinstädten und Dörfern mit anarchistischer Mehrheit ermöglicht, sich nach eigenem Belieben zu organisieren. Dann hoffen, dass sie sich an diese Abmachung halten. (Dies könnte als die

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