Kampf der Gefuehle
Nathaniel?«
»Ja, ich weiß«, antwortete der Junge, indem er seine braunen Augen verdrehte. »Cafe au lait. Kommt sofort. Redet bloß nich' über irgendwas Interessantes, bevor ich zurückkomme.« Nachdem er die Masken und die Brustschutzvorrichtungen, die Denys und er abgelegt hatten, weggeräumt hatte, ging er zur Treppe, die zu der im Erdgeschoss gelegenen Küche führte.
»Er wird immer besser«, stellte Denys mit einem Nicken in Richtung der Tür fest, durch die Nathaniel verschwunden war, während die zwei Männer sich zu einem der Tische begaben, die die Wände des Raums säumten.
»Kein Wunder, so engagiert, wie er ist.«
»Außerdem hat er einen hervorragenden Lehrer.«
»Ich wünschte bloß, er würde meinen Versuchen, seine Ausdrucksweise zu korrigieren, ebenso viel Aufmerksamkeit schenken.«
Denys“ Augen funkelten amüsiert auf. »Sein Kaffee ist fast genauso mangelhaft. Vermutlich wird er so dünn sein, dass man die Blümchen am Grund der Tasse erkennen kann. Warum lässt du ihm das durchgehen?«
»Weil es ihm«, entgegnete Gavin, während er Platz nahm, »großen Spaß macht, ihn zuzubereiten. Außerdem ziehe ich seinen Kaffee dem schwarzen Schlamm vor, den du als Kaffee bezeichnest und der einem die Eingeweide aufwühlt. Aber lassen wir das. Warum bist du denn nun wirklich so früh hier aufgekreuzt?«
»Weil es bestimmte Gerüchte gibt«, erwiderte Denys, dessen Gesicht unverzüglich ernst wurde. »Bist du tatsächlich mit dem Arm um die liebreizende Witwe Faucher die Straße entlangspaziert?«
»Das geschah nur, um sie zu stützen, nachdem sie eine Anzahl von Menschen gesehen hatte, die so zugerichtet waren, als hätte man Garnelen in heißem Wasser gekocht. Entspricht das dem, was die Klatschmäuler sagen? «
»Ja, auch wenn sie es nicht so plastisch darstellen«, entgegnete Denys. »Man scheint allgemein der Ansicht zu sein, dass die Dame sich den Ruf ruiniert, weil sie mit dem leichtlebigen Kreis um Madame Herriot Umgang hat, vor allem aber wegen ihrer spätabendlichen Treffen mit einem gewissen Fechtmeister.«
»Der keinen Namen und kein Gesicht hat und substanzlos wie Luft ist?«
»Nicht unbedingt. Dessen Haare blond sind und der auf dem Weg nach Hause immer pfeift.«
»Verdammt noch mal«, stieß Gavin hervor.
»Ich habe mir schon gedacht, dass du so reagieren würdest. Deshalb habe ich verbreitet, dass du eng mit Madame Herriot befreundet bist.«
»Und für diesen Dienst erwartest du wahrscheinlich, dass man dir den Kopf tätschelt wie einem Jagdhund, der seinem Herrn ein Rebhuhn apportiert. Oder bist du auf Erklärungen aus?«
»Weder auf das eine, noch auf das andere«, antwortete Denys mit unverminderter Fröhlichkeit. »Ich hinterbringe dir das ganze Geschwätz nur für den Fall, dass du etwas dagegen unternehmen möchtest. Womit ich natürlich nicht meine, dass du dem Überbringer an den Kragen gehst.«
Bevor Gavin dazu kam, etwas zu erwidern, erklangen draußen auf der Treppe Schritte, die langsamer und schwerer waren als die Nathaniels, der es im Allgemeinen vorzog, durch die Gegend zu galoppieren.
Wie sich herausstellte, war es der Amerikaner Kerr Wallace. Er brachte den Duft frischen Brots mit ins Zimmer, denn unterm Arm trug er zwei Baguettes.
»Frühstück«, verkündete der große Gentleman mit rotbraunem Haar statt eines Grußes, indem er eines der langen Brote unter dem Arm hervorzog und wie mit einem Degen damit herumfuchtelte. »Das Zeug ist zwar zäh wie Leder und liegt einem wie Blei im Magen, aber ich mag es trotzdem. Hast du zufällig Butter da?«, fügte er in hoffnungsvollem Ton hinzu.
»Nathaniel wird sicher welche finden.« Gavin forderte den Neuankömmling mit einer Geste auf, ebenfalls Platz zu nehmen.
Bald saßen sie alle bei einer einfachen Morgenmahlzeit beisammen, auch Nathaniel, der vor lauter Freude darüber, dass er an dieser Runde teilnehmen durfte, ungewöhnlich still war. Die Konversation war lebhaft, drehte sich aber um allgemeine Dinge. Sie sprachen über einen geheimnisvollen weißen Lederkoffer, von dem in der Zeitung L'Abeille gerade viel Aufhebens gemacht wurde, weil er unter der Beute eines Diebs entdeckt, von seinem Besitzer aber immer noch nicht abgeholt worden war, wandten sich den Konzerten zu, die die zwei berühmten, miteinander rivalisierenden Geiger, Old Bull und Vieux Temps, in diesem Winter in der Stadt geben wollten, und kamen schließlich auf das Schicksal der im Krankenhaus liegenden Opfer der Schiffskatastrophe zu
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