Kampf der Gefuehle
möglich.
Nichts von ihren Plänen schien so zu verlaufen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Niemand schien so zu sein, wie sie angenommen hatte.
Gegen Ende des Besuchs war ihre Mutter großartig gewesen, das gab sie ohne Umschweife zu. Vielleicht hatte sie ihre eigene Entschlossenheit und Direktheit ja zum Teil von ihrer Mutter geerbt. Wie gern hätte sie in Erfahrung gebracht, was sie wohl sonst noch von ihr geerbt hatte. Allein wenn sie daran dachte, erfüllte sie ein tiefes Bedauern. Gleichzeitig befiel sie aber auch Angst, eine Angst, die sie sich nicht zu erklären vermochte.
Und die viel zu deutliche Erinnerungen an Gavin Blackford weckte.
Unzählige Male war sie während der vergangenen Nacht im Geiste zu ihrer phrase d'armes in der garconniere zurückgekehrt. Der bloße Gedanke daran ließ ihr Herz schneller schlagen und bewirkte, dass sie von Hitze durchströmt wurde. Wie Partner bei einem gefährlichen Tanz, bei dem er die Führung übernommen hatte, hatten sie sich hin und her bewegt. In der Situation selbst war ihr seine Führungsrolle wie selbstverständlich vorgekommen. Jetzt freilich wunderte sie sich über ihre Fügsamkeit. Es war, als hätte sie unter einem Zauber gestanden. Eine andere Erklärung fiel ihr nicht ein.
Er faszinierte sie, so sehr sie das auch abstreiten mochte. Wie kraftvoll er sich bewegte, wie geschmeidig seine Bein- und Armmuskeln den Befehlen seines überlegenen Verstands gehorchten! Sein Blick war hypnotisierend, war so konzentriert, als gäbe es just in dem Moment außer ihnen beiden nichts anderes auf der Welt. Keine der Bewegungen, die sie machte, entging ihm. Dass er ihre Art zu fechten, ihren Stil guthieß, stand außer Zweifel, da er ansonsten nicht zögerte, sie auf Fehler hinzuweisen. Dieses Wissen hatte etwas Erhebendes, fast Berauschendes.
Nicht dass sie unter seinem Bann stand. Davon war sie weit entfernt. Sie nahm seine formidable Kraft und sein Können beim Fechten zur Kenntnis, weil sie solche Dinge für später gebrauchen konnte. Das war alles. Das war ganz gewiss alles. Wenn sie manchmal verwirrt war und sich bisweilen fragte, ob es ihr wohl gelingen würde, an dem Racheschwur festzuhalten, den sie vor ihrer Abreise aus Paris geleistet hatte, nun, dann lag das eben daran, dass sie eine Frau und wie die übrigen Angehörigen ihres Geschlechts einem ständigen Wechsel der Gefühle unterworfen war. Da war es nur natürlich, dass ihr im Dunkel der Nacht allerlei Zweifel kamen.
Wusste er Bescheid? War das möglich ?
Von diesen zwei Fragen war sie geradezu besessen. Konnte Gavin Blackford irgendwie erfahren haben, dass er ihr Feind war, der Mann, den sie geschworen hatte zu töten?
Wohl kaum, denn welcher Mann würde in dem Falle weitermachen, als ob nichts geschehen wäre? Warum sollte er zum Unterricht erscheinen, wenn ihm bewusst war, dass er jemandem das Fechten beibrachte, den es danach verlangte, ihm die Degenspitze in die Brust zu stoßen?
Es war ein Fehler gewesen, ihm etwas von ihrem Vorhaben zu verraten. Doch wenn sie auf diese Weise nicht sein Interesse geweckt hätte, hätte er sich nie bereiterklärt, sie als Schülerin anzunehmen. Dann hätte sie nicht die geringste Chance gehabt, ihn zu besiegen.
Gewiss, aber welche Chance hatte sie denn jetzt?
Dieser Zweifel nagte unablässig an ihr, während sie an der Seite Maurelles nach Hause ging. Doch es gab letzten Endes nur eine Lösung.
Sie musste das Risiko eingehen.
Fünfzehntes Kapitel
Gavin wurde vom Klirren in gleichmäßigem Takt aneinander schlagender Klingen geweckt. Die Laute vermischten sich mit der letzten Phase seines Traums, in dem er Ariadne abermals mit einem Florett in der Hand gegenüberstand, bloß dass sie diesmal beide splitternackt waren und er innerlich ein Loblied auf Brüste sang, die so weiß und rosig waren wie von der winterlichen Sonne geküsste Schneehügel. Er stöhnte auf und presste seine Augen wieder fest zusammen.
Der Lärm, der ihn geweckt hatte, kam aus seinem Fechtstudio, das sich unter seinem im zweiten Stock gelegenen Schlafzimmer befand. Offenbar hatte Nathaniel einen Partner zum Trainieren gefunden. Hervorragend. Sollte er sich ruhig mit einem anderen Möchtegernfechter messen und dabei seine Hand und sein Auge schulen. Warum er das ausgerechnet im Morgengrauen machen musste, war Gavin allerdings schleierhaft.
Später konnte es nicht sein, nach dem fahlen Licht zu urteilen, das durch das Fenster ins Zimmer fiel. Auf jeden Fall war es viel zu früh, um
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