Kampf für Freiheit
die Richtung, aus der er zuvor gekommen war. Er wusste, dass er gegen den gedrungenen Kutscher kaum eine Chance hatte, es sei denn, er konnte ihn irgendwie überrumpeln. Wenn ihm das gelänge, dann könnte er ihn bewusstlos schlagen, vielleicht sogar töten. Und er würde seine Mutter retten und mit dem Karren an einen Ort fahren, wo sie Hilfe finden würden. Seine Gedanken verharrten einen Augenblick. Würde er es wirklich über sich bringen, den Fahrer umzubringen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte?
»Oh ja«, knurrte Marcus leise. Das würde er tun, wenn es sein musste.
Als Marcus aus dem Kieferndickicht auftauchte, durch das er dem Kutscher entkommen war, bewegte er sich ohne einen einzigen Laut tief geduckt über den Teppich aus Kiefernnadeln. Seine Augen und Ohren versuchten angestrengt, irgendein Lebenszeichen auf der Straße auszumachen. Es war keine Bewegung zu bemerken, nur das schwache Spiel von Licht und Schatten auf dem Boden. Als er die Stelle erreichte, wo er seine Mutter zurückgelassen hatte, fiel Marcus auf die Knie. Die Kiefernnadeln waren zerwühlt und auf einem Felsbrocken war Blut zu sehen. Marcus starrte einen Augenblick auf den roten Fleck, während ihn große Angst überkam. Dann schluckte er, packte den improvisierten Knüppel fester und schlich weiter hoch. Als er mit den Augen auf der Höhe der zerfurchten Straße war, blieb Marcus stehen und schaute vorsichtig hin und her. Die Straße war leer.
Keine Spur von dem Karren.
Marcus kletterte zur Straße hinauf und stand schweigend da. Er starrte in die Richtung, die der Wagen eingeschlagen hatte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was nun zu tun war. Sein erster Impuls war es, dem Karren hinterherzurennen und seinen Plan weiterzuverfolgen, den Kutscher anzugreifen und seine Mutter zu retten. Doch inzwischen waren die Panik und Furcht, die ihn zuvor noch ergriffen hatten, verflogen und er dachte klarer. Er konnte dem Karren folgen und auf die richtige Gelegenheit zum Zuschlagen warten. Doch der Kutscher war bereits einmal überrumpelt worden und würde nun vorsichtiger sein. Falls Marcus dabei wieder gefangen genommen würde, wäre alles vergebens gewesen. Er und seine Mutter wären dann zum lebendigen Tod verurteilt und würden als Sklaven auf Decimus’ Landgut schuften. Und es bestand kaum ein Zweifel, dass der Kutscher ihn grün und blau prügeln würde, ehe er ihn wieder in den Käfig warf.
Seine Mutter hatte recht. Er musste Hilfe holen. Er musste jemanden finden, der ihm zuhören würde, der Gerechtigkeit für seine Mutter und ihn erwirken und Decimus bestrafen würde. Ein Funken Wut flackerte in seiner Brust auf, als er an den Mann dachte, der ihm sein glückliches Leben geraubt und seine Eltern gestohlen hatte. Eine bloße Strafe wäre für Decimus nicht genug. Er musste mit dem Leben bezahlen!
Schweren Herzens machte Marcus erneut kehrt und begann, in Richtung Stratos zu gehen. Auf keinen Fall durfte er die Stadt erneut betreten. Wenn man ihn dort erkannte, würde man ihn einfangen und wieder in die Zelle des Auktionators sperren, dann eine Botschaft an Decimus schicken und ihm mitteilen, dass man den entsprungenen Sklaven dingfest gemacht hatte. Marcus beschloss, stattdessen, bevor er die Stadt erreichte, zum Fluss abzubiegen und ihm zum Meer zu folgen. Dort würde er einen Hafen finden, und dann musste er auf ein Schiff gelangen, das nach Italia fuhr, wo er General Pompeius suchen und ihm alles erzählen wollte. Doch schon in dem Augenblick, als er diesen Plan fasste, wusste Marcus, dass der Weg, der vor ihm lag, schwierig und gefährlich sein würde.
Er legte den Knüppel über die Schulter und beschleunigte seine Schritte auf dem unebenen Pfad. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel. Es war glühend heiß und die Luft flirrte über der Straße vor ihm. Sobald Marcus die Kiefernwälder hinter sich gelassen hatte, konnte er unten im Tal Stratos liegen sehen, dann das breite silberne Band des Flusses, der sich durch das Tal schlängelte, ehe er in der Ferne zwischen den Bergen verschwand. Er verließ die Straße und machte sich querfeldein auf den Weg zum Fluss. Unterwegs durchquerte er vorsichtig einige Olivenhaine und einen Weinberg. Gelegentlich sah er Leute, denen er in großem Bogen aus dem Weg ging. Marcus war sich nicht sicher, ob er es wagen konnte, jemanden um Hilfe zu bitten, der in der Nähe von Stratos lebte. Diese Leute konnten etwas von Decimus wissen und hofften vielleicht, eine Belohnung für die
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