Kampf für Freiheit
»Mutter!«
Der Kutscher sah sich um. »Halt die Klappe, Bürschchen!«
»Meine Mutter ist krank!«, rief Marcus. »Wirklich krank. Ihr müsst ihr helfen!«
Seine Mutter begann jetzt heftig zu zittern und sich hin und her zu werfen. Dabei stöhnte sie laut, so als hätte sie schreckliche Schmerzen.
Der Kutscher seufzte ärgerlich und zerrte an den Zügeln. »Ho! Ho, ihr verdammten Biester!«
Die Maultiere blieben stehen und verharrten geduldig, wo sie waren. Der Kutscher ließ die Zügel sinken und drehte sich um, damit er in den Käfig schauen konnte. »Was ist denn los mit ihr?«
»Sie ist krank.« Marcus schluckte nervös und machte ein ängstliches Gesicht. »Ich glaube, sie stirbt. Bitte, bitte, helft ihr!«
»Sie stirbt?« Der Kutscher verzog das Gesicht. »Die stirbt nicht. Die kann sich erholen, wenn wir heute für die Nacht Rast machen.«
»Dann ist es zu spät«, erwiderte Marcus verzweifelt. »Sie braucht jetzt Hilfe.«
»Hilfe? Nun, was kann ich schon machen? Ich bin nur ein Kutscher, verdammt noch mal!«
Marcus überlegte blitzschnell. »Wenn sie stirbt, dann müsst Ihr Euch vor Decimus dafür verantworten. Und ich sage ihm, dass Ihr nur dagesessen seid und nicht geholfen habt.«
Der Kutscher schaute ihn wütend an, kletterte dann von seinem Bock und kam am Karren vorbei nach hinten. Das Stroh raschelte leise, als Marcus’ Mutter sich mit den Sandalen gegen die eisernen Gitterstäbe der Käfigtür stemmte. Der Kutscher blieb stehen, als er den hinteren Teil des Karrens erreicht hatte.
»Was ist los mit ihr?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Marcus ängstlich. »Sie braucht Schatten und Wasser.«
»Hm.« Der Fahrer kratzte sich nachdenklich am Kopf.
Livia machte würgende Geräusche.
»Jetzt spuck bloß nicht!«, knurrte der Fahrer. »Wenn du dir in dieser Hitze die Seele aus dem Leib kotzt, haben wir die ganze restliche Reise den Gestank in der Nase.«
»Dann lass sie raus!«, schrie Marcus. »Ehe ihr schlecht wird.«
Der Kutscher überlegte kurz. »Na gut. Aber nur sie. Du bleibst im Käfig und sie hole ich jetzt raus.«
Marcus nickte.
Der Fahrer langte nach dem Lederriemen, den er um den Hals trug, und zog daran den Schlüssel heraus. Dann kniff er die Augen zusammen und lehnte sich vor, um den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Marcus spannte alle Muskeln an und sein Herz klopfte wild. Gleichzeitig zwang er sich, so zu schauen, als gälte all seine Sorge nur seiner Mutter, während er fürsorglich ihren Kopf in seinen Händen hielt. Ein metallisches Klirren, und der Schlüssel drehte sich im Schloss, dann ein lautes Klicken, als der Riegel zurücksprang.
»Jetzt!«, schrie Livia. Sie trat wild mit den Beinen gegen die Tür, und Marcus warf sich mit hartem Krachen gegen die Gitterstäbe. Die Eisentür flog auf und traf den völlig verdutzten Kutscher mitten ins Gesicht. Er schrie vor Schmerzen und Überraschung auf und fiel auf die Straße. Marcus krabbelte aus dem Käfig und sprang über die Seitenwand des Karrens, weg von dem Fahrer, der auf seinem Hinterteil auf der Straße saß, während ihm das Blut aus der gebrochenen Nase strömte. Livia packte die Kante der Käfigtür, schwang sich daran aus dem Karren und landete schwer neben Marcus. Sie griff ihn bei der Hand.
»Lauf!«
Sie flitzten zum Wegesrand. Hinter ihnen rappelte sich der Fahrer mühsam auf die Beine und brüllte: »Halt!«
Die langsame Reaktion des Mannes erlaubte es Marcus und seiner Mutter, einige Schritte Vorsprung zu bekommen, ehe der Kutscher die Verfolgung aufnahm und sich mit seinen schweren Sandalen unbeholfen über die unebene Straße quälte. Livia war auf die Straßenseite gelaufen, wo der Hang nach unten abfiel. Jetzt rutschten und schlitterten sie und Marcus durch die weichen Kiefernnadeln bergab.
»Halt!«, schrie ihnen der Kutscher noch einmal nach. »Bleibt sofort stehen, sonst schlage ich euch grün und blau, wenn ich euch erwische!«
Marcus riskierte einen Blick zurück und sah, dass der Mann vielleicht dreißig Fuß hinter ihnen war. Marcus war seiner Mutter ein wenig voraus und zerrte sie an der Hand weiter. »Komm!«
Sie verzog vor Anstrengung das Gesicht und versuchte, auf dem unebenen Gelände mit ihm Schritt zu halten. Ringsum fielen ab und zu Sonnenstrahlen durch die Kiefernzweige, und das Spiel von Licht und Schatten machte es ihnen schwer, sich auf den Boden vor ihren Füßen zu konzentrieren.
Dann geschah es.
Mit einem plötzlichen Aufschrei fiel Marcus’ Mutter nach vorn.
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