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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Prärie Richtung Norden. Remlinger hatte gesagt, Florence habe es im Stil der American-Nighthawk-Schule gemalt – das hatte ich nicht verstanden, und ich konnte es nicht nachschlagen, weil ich den Band N von meinem Buch der Welt in Great Falls gelassen hatte. Anderswo an der Wand hing ein gerahmtes Foto von vier großen Jugendlichen, jung und selbstbewusst, lächelnd, Hände in den Hüften, in Anzügen aus schwerer Wolle, dazu breite Krawatten; sie posierten vor einem Backsteinbau, der die Aufschrift EMERSON über seinem großen Portal trug. Es gab noch ein Bild von einem dünnen, lächelnden jungen Mann mit frischem Gesichtsausdruck und einem blonden Haarschopf (Arthur Remlinger, vor Jahren – seine blassen Augen waren unverkennbar). Er hatte einen langen Arm um die Schulter einer schlanken Frau in weiten Hosen gelegt, die ebenfalls lächelte – beide standen neben einem Auto aus den vierziger Jahren, das bei meinem Vater das »Ford Coupé mit dem Mützenschirm« hieß. Ein weiteres Bild war unschwer als Familienfoto zu erkennen und sehr alt, alle Personen standen ordentlich aufgereiht. Eine dicke Frau mit dunklen, streng zurückgebundenen Haaren und in einem formlosen, groben hellen Kleid stand stirnrunzelnd neben einem großen Mann mit großem Kopf, dichten Augenbrauen, tiefliegenden Augen und riesigen Händen, der ebenfalls die Stirn runzelte. Ein älteres, dunkelhaariges Mädchen mit frechem Grinsen stand neben einem großen, mageren Jungen, den ich intuitiv für Arthur Remlinger hielt und der einen vierknöpfigen Jungenanzug aus Wolle trug, mit Hochwasserhosen über Stiefeln. Das Mädchen war wohl Mildred, aber ich erkannte sie nicht wieder. Sie posierten vor einer großen Düne, seitlich neben ihnen befand sich ein See oder vielleicht auch das Meer.
    In einer Ecke des muffigen Raums gab es einen Kleiderständer mit Gürteln und Hosenträgern und Querbindern an den Messinghaken. Ein Kleiderschrank platzte fast aus den Nähten – schwere Anzüge, Tweedjacketts, gestärkte Hemden –, der Boden stand voll mit großen, teuer aussehenden Schuhen, in einige waren helle Strumpfwaren gestopft. Es gab auch Frauenkleidung – einen Morgenmantel und Pantoffeln und ein paar Kleider, die vermutlich Florence gehörten. Im Bad standen neben Remlingers Silberbürste und -kämmen mit Monogramm, der Flasche Hamamelisextrakt und dem Rasierzeug mehrere Dosen mit Cold Cream sowie ein blauer Schmuckteller mit Haarklammern, an der Wand hingen eine Wärmflasche aus Gummi und eine Duschhaube.
    Über dem verzierten Doppelbett aus Holz waren Bücherregale angebracht – dicke blaue Bände über Chemie und Physik und Latein, in Leder gebundene Romane von Kipling und Conrad und Tolstoi sowie mehrere Bücher, auf deren Rücken nur einzelne Namen standen: Napoleon, Caesar, U.S. Grant, Mark Aurel. Daneben fanden sich dünnere Bände mit Titeln wie Trittbrettfahrer , Gefangene Passagiere und Das Grundrecht und Gewerkschaftsbonzen , und dann noch Meister der Täuschung von J. Edgar Hoover, dessen Namen ich aus dem Fernsehen kannte.
    In den dunklen Ecken beider Zimmer lehnten Tennis- und Badmintonschläger an der Wand. Es gab einen Plattenspieler und eine Holzkiste am Boden daneben, darin, wie ich entdeckte, Platten von Wagner und Debussy und Mozart. Ein Marmorschachbrett lag oben auf dem Plattenspielerschrank, die Schachfiguren waren aus weißem und schwarzem Elfenbein, fein ziseliert und zusätzlich beschwert (was ich merkte, als ich sie in die Hand nahm). Das brachte mich auf die Idee, Schach zu erwähnen, wenn ich Arthur Remlinger das nächste Mal begegnete, vielleicht würden wir ja gegeneinander spielen, falls ich ihn je besser kennenlernte, und dann könnte ich neue Strategien lernen.
    In seinem engen Salon standen eine schwere Couch mit runden Lehnen und grobem Bezug, zwei Stühle mit gerader Lehne und zwischen ihnen ein niedriger Tisch, darauf eine halbleere Flasche Brandy und zwei winzige Gläschen – als würden Florence La Blanc und er einander gegenübersitzen, trinken, Musik hören und über Bücher reden. Weit oben neben dem abgedunkelten Fenster hatte er eine hölzerne Sitzstange angebracht, um die eine dünne Messingkette gewickelt und verknotet war. Von einem Vogel war nichts zu sehen.
    An der Wand, hinter der Vogelstange und fast unsichtbar im Halbdunkel, hing eine gerahmte Messingtafel mit dem Text: »Alles, was dir vor Handen kommt, zu tun, das tue frisch; denn bei den Toten, dahin du fährst, ist weder Werk, Kunst,

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