Kanada
und vieles in den Kisten gehöre ihm. In den angeweichten, muffig riechenden Kartons entdeckte ich manches, das zu meinen Funden in seinen Räumen passte. In einem, der in Bleistift mit »AR« markiert war, lagen dünne Bücher und brüchige, vergilbte Zeitschriften aus den vierziger Jahren, mit Baumwollzwirn zusammengebunden. Eine hieß Die Freidenker , eine andere Der entscheidende Faktor . Zwei Bücher hatte ich schon in seinen Räumen gesehen – Gefangene Passagiere und Analyse der Welt . Ich hatte keine Ahnung, worum es da ging. Als ich Die Freidenker herauszog, sah ich, dass auf dem Umschlag ein Artikel von einem »A.R. Remlinger« angekündigt wurde: »Anarcho-Syndikalismus, Immunitäten und Privilegien«. Dessen erste Seite las ich. Er bezog sich auf »die Lehre aus dem Danbury-Hatters-Fall« und auf das »protestantische Arbeitsethos« und erörterte in allen Einzelheiten, dass Arbeiter nicht »ihre individuelle Freiheit maximieren«. Auf der Rückseite wurden die Leser darüber informiert, dass A.R. Remlinger »ein junger Harvard-Absolvent aus dem Mittleren Westen« sei, der seine »Ausbildung mit Goldrand« in den Dienst der Menschenrechte stelle. Wahrscheinlich hatte Arthur Remlinger auch in den anderen Zeitschriften Artikel veröffentlicht, aber ich hatte keine Lust, sie auch nur aufzuschlagen.
Auf anderen Kartons standen seine Initialen nicht, und darin fand ich Lebensversicherungspolicen und stapelweise entwertete Schecks und einen Führerschein der Provinz Saskatchewan, ausgestellt auf eine Frau namens Esther Magnusson, Sammlungen gelber Bleistiftstummel, von Gummibändern zusammengehalten, Stapel alter Flugblätter und eine »Milky Way for Britain«-Broschüre über Kriegsanleihen, zu großen Teilen von Mäusen zerfressen und als Nest benutzt. Einige der Flugblätter hatten mit dem »Evangelium der Sozialreform« zu tun und mit etwas namens »Die Königlichen Tempelherren der Temperanz«. Ich fand Mitgliedsbücher der »Hausfrauen-Clubs« und Mitteilungen über »Weizen und Weiblichkeit« und den »Großen Getreideanbau-Führer«. Ein Heft hatte mit der »Kanadischen Liga« zu tun, gleich auf der ersten Seite stand, dass Einwanderer nicht ihren Beitrag leisten würden und dass Soldaten, die von der Front zurückkehrten, Vorrang bei der Jobauswahl haben sollten. In das Heft eingelegt war ein schwarzweißes Zeitungsbild, das ein in Brand gestecktes Kreuz zeigte, davor stehend Menschen mit weißen Kapuzen und Roben und bedeckten Gesichtern. »Moose Jaw 1927« stand in verblasster Tinte darunter.
Ein weiterer Karton enthielt verrostete Filmbüchsen mit Filmrollen darin, aber ohne Angabe, was darauf zu sehen war. Oben auf den Büchsen lag eine amerikanische Fahne, so gefaltet, wie es mein Vater Berner und mir beigebracht hatte – zum »Dreispitz«. Ich fand Schuhkartons voller Briefe – viele adressiert an Mr Y. Leyton in Mossbank, Saskatchewan, und 1939 und 1940 abgestempelt. Diese waren mit Bindezwirn zu straffen Stapeln zusammengeschnürt, auf einigen klebten amerikanische Drei-Cent-Marken mit einem Bild, auf dem ich George Washington erkannte. Ich fand es in Ordnung, zumindest einen dieser Briefe zu lesen, denn außer Mildred hatte mir noch niemand nach Kanada geschrieben, und da ich durch mein Dasein in Partreau etwas eigenbrötlerisch geworden war, bekam für mich die Lektüre eines Briefs an jemand anderen den Stellenwert einer Kontaktaufnahme mit meinen Mitmenschen. Der Brief lautete:
Lieber Sohn,
wir sind in Duluth, wo wir mit Deinem Vater von den Cities hingefahren sind. Dort war es wirklich schön (sehr modern). Und viel wärmer als im ollen Eisschrank Prince Albert, das steht mal fest. Ich weiß nicht, wie man dort leben kann – bei dem Wind. Liebe Güte. Aber das kennst Du ja auch. Ich versuche, das Kanadisch, das ich als Kind in der Schule gelernt habe, so weit wie möglich zu vergessen – für meine Sünden. Jaqueleen sagt gerade, es ist schade, dass es eine Grenze zwischen den beiden Ländern geben muss. Aber ich weiß nicht recht. Da denken wohl Leute, sie wissen, was am besten ist. In Tennessee, da würde ich mit Freuden sterben.
Ich weiß (habe gehört), dass Du an die Marine denkst. Sehr tapfer (falls man Wasser mag). Denk lieber noch mal drüber nach. Ja? Ein großer Streit bringt uns jetzt auch nicht weiter. Das Schlimmste könnte eintreten. Woran Du natürlich nicht denken sollst. Nur so ein Gedanke von Deiner Mum.
Ich habe eine Postkarte, die schicke ich noch. Darauf ist
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