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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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das die ganze Zeit.«
    Mir war es auch passiert. Mit dem Wort »Verbrecher«. Es hatte immer eine bestimmte Bedeutung gehabt. Bonnie und Clyde. Al Capone. Die Rosenbergs. Und jetzt: meine Eltern. Das würde ich aber nicht sagen. Ich sagte nur: »Ja, kenn ich.«
    »Also. Magst du uns hier oben?« Florence warf mir manchmal einen Blick zu, um sicherzugehen, dass ich auch sah, wie sorgfältig sie Farbe auf das Postamt pinselte. Wahrscheinlich gefiel es ihr, beim Malen beobachtet zu werden. »Kanadier wollen immer, dass es alle Leute hier mögen. Und uns – uns sollen sie vor allem mögen.« Sie stupste den Pinsel einmal behutsam auf die Tür des Postamts, dann hielt sie den Kopf schief und betrachtete sie. »Aber. Wenn man uns dann tatsächlich mag, kommt bei uns immer der Verdacht auf, es könnte aus den falschen Gründen sein. In Amerika ist das bestimmt ganz anders. Mein Gefühl sagt mir, es ist den Leuten da unten ziemlich egal. Ich kenn mich da nicht aus. Etwas aus den richtigen Gründen zu tun ist jedenfalls der Schlüssel zu Kanada.«
    »Ich mag es hier«, sagte ich. Dabei hatte ich noch gar nicht so genau über Kanada nachgedacht. Ich hatte angenommen, ich würde es nicht mögen, weil ich gegen meinen Willen dort war – wie sollte man es da mögen? Aber mittlerweile war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich wieder wegwollte, ich hätte ja auch gar nicht gewusst, wohin.
    »Tja …« Florence zog die Schultern hoch, beugte sich auf ihrem Hocker nach vorn, hielt die Palette von sich weg und verschmierte mit ihrem kurzen Daumen – der Nagellack blitzte rot auf – die Tür ganz leicht, damit sie der echten grauen Tür, die ich sah, ähnlicher wurde. »Das ist gut«, sagte sie konzentriert. »Es macht bestimmt keinen Spaß, unglücklich zu sein.« Dann lehnte sie sich zurück und musterte, was sie gerade gemacht hatte. »Wir bekommen das Leben leer geschenkt. Für die Sache mit dem Glück müssen wir uns schon selber etwas einfallen lassen.« Sie wischte ihren Daumen einfach so an dem braunen Gewand ab, was sie schon oft gemacht hatte, dann richtete sie sich auf. »Ist es schön da unten, wo du wohnst? Oder wo du früher gewohnt hast? Ich war noch nie in den Staaten. Keine Zeit.«
    »Meine Schule gefiel mir.« Hätte mir gefallen, dachte ich.
    »Na, das ist doch schön«, sagte Florence.
    »Wissen Sie, warum Mr Remlinger mich bei sich wohnen lässt?«, fragte ich. Ich hatte das gar nicht geplant. Aber es tat mir gut, mit jemandem zu reden, der mich anscheinend mochte.
    Florence spähte seitlich an ihrer Staffelei vorbei auf die leere Straße, die zum Highway führte, wo gerade der zweite der beiden täglichen Greyhound-Busse vorbeifuhr. Dann kehrte ihr Blick zu dem Bild zurück, und ihr Pinsel zuckte zwischen Daumen und Zeigefinger. Blonde Strähnen zogen sich an ihrem blassen Nacken empor und verschwanden unter dem weichen Hut. Sie hatte ein Muttermal dort, und ich dachte, bestimmt bleibt ihr Kamm da immer hängen. »Tja.« Sie redete, während sie wieder ihr Bild betrachtete. »Machst du dir Gedanken, weil er dich nicht beachtet?«
    »Manchmal.« Hätte ich bloß einfach ja gesagt, so war es doch auch.
    »Ach, lass dich davon nicht irritieren«, sagte Florence und stippte ihren Pinsel in eine Blechdose, die zu ihren Füßen auf dem Asphalt stand. »Menschen wie Arthur haben keine natürliche Verbindung zur Welt. Das merkt man. Wahrscheinlich ist ihm noch nicht einmal aufgefallen, dass er dich immer ignoriert. Er ist sehr intelligent. Er war in Harvard. Vielleicht meint er, es wäre wichtig für dich, dich durchs Alleinsein anzupassen. Andererseits handeln die Menschen nie genau so, wie man es gerne hätte. Er tut dir einen Gefallen. Vielleicht bist du für ihn mal was Neues.« Sie grinste mich spitzbübisch an und sah zu den Wolken hoch. »Und ich kann einen marmornen Himmel nicht ausstehen.« Sie machte mit dem Pinsel eine Reihe von Kreuzen in die Luft, als könnte sie den Himmel übermalen. Dann stellte sie den Pinsel zurück in die Blechdose und ließ ihn dort.
    Die Ölförderpumpe summte draußen auf dem windigen Weizenfeld vor sich hin, nicht weit entfernt, ihr Hebelarm sank sanft hinunter und hob sich wieder – das war das einzige nicht natürliche Geräusch in der Luft. Nachts hörte ich es schon fast nicht mehr, aber beim Einschlafen konzentrierte ich mich darauf.
    Ich stand hinter ihr und sagte nichts. Florence beugte sich vor, stellte die Palette auf den Asphalt und öffnete ihre Malerkiste aus Holz,

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