Kanada
überreden, die Bombe selbst zu legen – in eine Mülltonne hinter dem Gewerkschaftsgebäude. Charley gegenüber sagte er, dass er damals in eine psychiatrische Klinik gehört hätte – und auch dort gewesen wäre, wenn er in Kontakt mit seiner Familie geblieben wäre. Seine Schwester arbeitete ja in der Krankenpflege. Aber so war es nun mal nicht gekommen.
Arthur fuhr also von Elmira nach Detroit, das Dynamit im Kofferraum eines geliehenen Autos. Er plazierte die Bombe an der geplanten Stelle, stellte einen schlichten Wecker und fuhr weg. Doch bevor die Bombe explodieren konnte – um zehn Uhr abends –, kehrte der Vizepräsident der Gewerkschaft, ein Mr Vincent, in die Halle zurück, um seinen vergessenen Hut zu holen. Genau als er zur Hintertür hineinging, explodierte Arthurs Bombe, und Mr Vincent erlitt furchtbare Verbrennungen. Nach einer Woche starb er.
Umgehend begann eine große Menschenjagd nach dem Bombenleger, den niemand gesehen hatte, man vermutete ihn aber unter den gewalttätigen Gruppen, die mit allen Mitteln die Arbeit der Gewerkschaften in Amerika zu behindern suchten.
Arthur packte das schiere Entsetzen, dass er jemanden getötet hatte – das hatte er ja nie vorgehabt –, er hatte panische Angst, gefasst und ins Gefängnis geworfen zu werden. Es wurde angenommen, dass der Täter aus Detroit stammte, aber keiner verdächtigte den dreiundzwanzigjährigen Arthur Remlinger. Er war der Polizei, die auf der Seite der Gewerkschaften stand, zwar bekannt, aber an ihn dachte niemand. Als die Suche nach dem Bombenleger in Gang kam, war Arthur schon wieder auf der Farm in Elmira – und hatte zwar nicht öffentlich seinen Ansichten abgeschworen (das würde er nie so ganz tun), aber doch begriffen, dass er nun ein gejagter Verbrecher mit einem vermasselten Leben war.
Er konnte sich entscheiden. Entweder er gab sich auf und übernahm Verantwortung für seine Tat und landete im Gefängnis; oder, so hatte er Charley erzählt, er ging so weit weg, wie er sich nur vorstellen konnte – schließlich war er ja weder angeklagt noch verdächtig –, und versuchte an den Gedanken zu glauben, dass er niemals gefunden würde und so im Lauf der Zeit sein Verbrechen aus seinem Leben verbannen könnte.
Charley sah zu mir herüber, ob ich auch zuhörte. Ich hatte das Ausnehmen der Gänse unterbrochen und passte genau auf – die Geschichte schockierte mich zutiefst. Charley steckte sich eine neue Zigarette zwischen die Lippen. Das Blutgerinnsel in seinem linken Auge verschob sich und schien zu schwimmen, zu leuchten. Er trug keinen Lippenstift – wenn die Sportsfreunde in der Nähe waren, unterließ er das. Aber auf seinen pockennarbigen Wangen lagen Reste von Rouge, in den Gänsegruben verschmiert, und um seine Augen waren schwarze Kajalspuren. Er trug eine schwarze Schweißbrennerschürze mit Blut drauf, auch seine Arme und Hände waren voll Blut, er roch nach Gänseeingeweiden. Sein Anblick hätte jeden erschreckt. Im Eingang zur Nissenhütte, wo wir arbeiteten, fegte ein scharfer Wind voll harter Schneeflocken umher, die in Charleys Haaren schmolzen und sein Haarfärbemittel zum Laufen brachten. Meine Hände und Wangen waren aufgeschürft und brannten. Gänsefedern waren bei unserer Arbeit heruntergefallen und ins starre Gestrüpp und in Charleys Kreisel geweht worden. Mrs Gedins’ weißer Hund war angelaufen gekommen, um die Nase in den Eingeweide-Eimer zu stecken und ihn an den Seiten abzulecken. Den Inhalt des Eimers verbrannten wir jeden Tag im Ölfass, dann verstreute Charley die Füße und Flügel und Köpfe für die Kojoten und Elstern, die er so gern abschoss.
Charley hob seine dichten Augenbrauen, und seine fleischige Stirn rollte sich in Falten. »Du hörst ihn geradezu, oder? Sein ›Geisteszusammenbruch‹. ›Das schiere Entsetzen.‹ Seine ›Universitätsaspirationen‹. Hoch oben über allem und allen anderen?« Charley verzog angewidert den Mund. »Das war natürlich, als er hier angelaufen kam. 1945. Als grad der Krieg vorbei war. Er dachte – oder die Leute, die ihm halfen und bis heute helfen, dachten –, hier oben wäre der unerreichbarste Ort auf der Erde. Und jetzt stellen sie fest, dass sie sich da wohl geirrt haben.« Charleys große Schneidezähne kamen hinter seinen Lippen zum Vorschein. Er ließ die Zigarette auf der Spitze seiner dicken Zunge herumtanzen, als machte ihm diese Tatsache besonderen Spaß. »Jetzt muss er wohl seinem Schicksal gegenübertreten, wie? Das andere war
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