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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Interessenvertretern geschützt würde (was stimmte) oder der ein Straftäter wäre, auf der Flucht nach einem geheimnisvollen Verbrechen. (»Jedes Gerücht trägt ein Körnchen Wahrheit in sich, oder?«, sagte Charley.) Allerdings war Arthur niemandem in Fort Royal wichtig genug, um dem ernsthaft nachzugehen. Gerüchte waren besser. Die Stadt hatte den alten Box nie akzeptiert – weil er lüsterne junge Indianerinnen feilbot, weil bei ihm Glücksspiele stattfanden und lärmende Trinkgelage, weil Farmer heimlich ins Hotel schlichen und über die Stränge schlugen, weil nachts immerzu Fremde auftauchten. Doch er wurde geduldet, weil niemand großes Aufhebens davon machen wollte und weil eine Stadt wie Fort Royal gern ignoriert, was sie missbilligt. Nachdem Box sich auf die Inseln davongemacht hatte – die keiner zu Kanada rechnete, sagte Charley, weil nie einer dort hinfuhr –, blieb die Stadt bei ihrer Strategie und duldete auch Arthur, der ohnehin nicht in ihren Kreisen aufgenommen werden wollte.
    Laut Charley fühlte sich Arthur trotzdem »paralysiert« – das Wort kannte ich nicht, was ihn höhnisch grinsen ließ –, »beleidigt und abgelehnt« von Menschen, von denen er nie hatte angenommen werden wollen. Arthur empfand Selbsthass, Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit und heftiges Bedauern, dass er 1945 so jung und panisch gewesen war, bis hierher zu flüchten, und jetzt nicht mehr fort konnte, wegen der »paralysierenden« Angst davor, doch noch gefasst zu werden. Zurückzugehen und sich der Gerichtsbarkeit zu stellen wäre zu viel für ihn, hatte er Charlie anvertraut. Heute konnte er seine Tat nicht mehr verstehen, und ebensowenig, dass ihm die Rückkehr ans College verstellt war – seine Fahrkarte zur Rechtschaffenheit, die die Professoren ihm bei der ersten Gelegenheit entrissen hatten. Er war überall ein Außenseiter und wünschte sich nur, noch weiter weg zu fliehen (die »Auslandsreisen«, die er mir gegenüber erwähnt hatte, Italien, Deutschland, Irland). Arthur war fast neununddreißig, sah allerdings zehn Jahre jünger aus mit seinen dünnen blonden Haaren, der faltenlosen Haut und den klaren Augen, ein schöner Mann. Es war, als wäre die Zeit für ihn stehengeblieben, er schien nicht mehr zu altern, er war nur noch Arthur Remlinger in einer ewigwährenden Gegenwart. Er hatte Charley erzählt, er würde viel an Selbstmord denken und sich nachts oft mit rasenden Wutanfällen und einem chaotischen Geist plagen, der ohne Vorwarnung aufflammte (die Fasane, die er durchpflügt hatte!) und zu seinem wahren Wesen im Widerspruch stand. Mittlerweile putzte er sich heraus (was er als junger Mann nie getan hatte) und bestellte dandyhafte Anzüge bei einem Geschäft in Boston – die er Florence nach Medicine Hat mitgab, wenn sie geändert oder geflickt oder gereinigt werden mussten. Manchmal bezeichnete er sich, so Charley – mir war das allerdings nie aufgefallen –, als Anwalt (»Berater«) und manchmal auch als wichtiger Autor. Charley fand, dass er alles um sich herum beeinflusste (nie zum Guten), aber als Mensch keinen Eindruck hinterließ. Das, so wurde mir klar, war eben jenes Unstete, das ich bei ihm empfunden hatte. Arthur wusste das und litt darunter, wollte es auch ändern, konnte es aber nicht.
    Charley sagte, er selbst wäre ja schon längst weg und hätte Remlinger aus seinem Leben gestrichen, wenn der alte Teufel Box Arthur nicht ein paar Privatinformationen über ihn, Charley, hinterlassen hätte – Dinge aus seiner Vergangenheit, die er (siehe Arthur, meine Eltern und ich selbst) nicht ans Tageslicht kommen lassen wollte. Charley sagte, er sei quasi Remlingers »Leibeigener«, solange der das wollte, als Diener, Bote, unfreiwilliger Vertrauter, Zielscheibe des Spotts, Faktotum und heimlicher Gegenspieler. Seit fünfzehn Jahren schon – so lange ich lebte also.
    »Er rückt dir langsam auf den Pelz, das merke ich«, sagte Charley. Er hatte einen Haufen nackter, schrumpelhäutiger Gänsekadaver aufgehoben und trug sie in die schummrige Nissenhütte. »In seinem Überlebensplan hast du eine Aufgabe. Wenn ich mich nicht irre. Aber ich irre mich nicht.«
    Seine Kühltruhe stand zwischen aufgespannten, trocknenden Tierhäuten und Salzbüchsen und reparaturbedürftigen Lockvögeln, dem Motorrad und den Grabwerkzeugen, inmitten des dichten Geruchs von Lösungsmitteln und Gerbchemikalien.
    »Ich bewundere ihn nicht«, sagte ich und brachte die Gänse, die ich ausgeweidet und gerupft hatte,

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