Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
Vom Netzwerk:
können, dass Unvernunft zu seinem Wesen gehörte und er verdiente, was immer er sich davon versprochen hatte. Er war ein Mörder – genau wie meine Eltern, in kleinerem Maßstab, Bankräuber waren. Warum es verbergen, mag er gedacht haben. Lieber sich darin sonnen. Wenn man zwei Menschen umbringt, muss ein Anteil Wahnsinn im Spiel sein, unweigerlich.
    Was war das Ergebnis all dessen – das Ergebnis zweier Morde? Wenig, soweit ich weiß. Der Chrysler der Amerikaner wurde in Charleys Nissenhütte versteckt, dann von Ollie Gedins und einem seiner Brüder in die Staaten zurückgefahren, mit den Papieren der Amerikaner, die US-Grenzer waren nicht so sorgfältig, das zu bemerken (an der Grenze zu Kanada, anno 1960). Die beiden Kanadier mieteten sich im Hi-Line-Motel in Havre unter den Namen Jepps und Crosley ein und verschwanden dann still und leise in der Nacht von Montana. Das Auto ließen sie vor dem Zimmer stehen, so dass die Obrigkeit, als sie nach den beiden suchte, davon ausging, sie hätten Kanada verlassen und seien bis Havre gekommen, dann aber mysteriöserweise verschwunden. Vielleicht kam die kanadische Polizei noch ins Leonard und stellte Fragen, zeigte Fotos. Niemand sah eine Verbindung zu Arthur, ebenso wenig wie damals nach dem Bombenanschlag. Was Jepps und Crosley betraf, die draußen in der bald darauf tiefgefrorenen Prärie begraben lagen (der Boden war gerade noch weich genug gewesen, um die Gruben auszuheben), gab es nicht einmal Belege dafür, dass sie überhaupt tot waren. Wenn jemand genauer nachforschen wollte – eine Ehefrau, ein Verwandter aus Detroit –, dann sicher erst lange nachdem ich den Bus nach Winnipeg bestiegen hatte.
    An den Tagen nach den Morden muss allerdings irgendetwas durch die Drähte des Leonard gegangen sein. Charley Quarters brachte die Sportsfreunde weiterhin jeden Morgen auf die Felder. Remlinger machte weiterhin seine animierte Runde durch den Speisesaal und abends durch die Bar. Ich durfte an nichts mehr teilnehmen, als wäre ich nicht mehr vertrauenswürdig. Ich durfte noch in der Küche essen und mich in meiner Kammer aufhalten und im Leonard herumlaufen oder durch die Winterstraßen von Fort Royal streifen, so wie im warmen September. Ich sah Charley Quarters’ Halbtonner auf der Straße und auf dem Parkplatz hinter dem Hotel. Einmal begegnete ich Arthur Remlinger im Foyer. Er las einen Brief. Dann sah er zu mir auf, wie er mich noch nie angesehen hatte. Er wirkte energisch, als wollte er mir in diesem Moment etwas zeigen, das er ebenfalls noch nie gezeigt hatte – doch dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck und wurde fast streng. »Manchmal, Dell, muss man Ärger machen, damit die Dinge sich klären«, sagte er. »Wir alle verdienen eine zweite Chance.« Das hatte er am Abend der Morde schon gesagt. Seine Worte ergaben keinen Sinn, und ich wusste keine Erwiderung darauf. Ich hatte gesehen, wie er zwei Menschen umbrachte. Ich war jenseits aller Worte. Er steckte seinen Brief ein und ging einfach weg. Ich glaube, so begriff er das Erschießen zweier Männer und ihr Verscharren in Gänsegruben auf der Prärie: Es diente einer bestimmten Klarheit, die er suchte, und der Linderung seines Leidens. Ich versuchte das zu verstehen und damit übereinzubringen, wie ich mich fühlte – nämlich gedemütigt und beschämt, als hätte sich ein Teil von Remlingers innerer Leere in mir aufgetan. Es gelang mir nie.
    Ich wusste nicht, ob Florence von dem Ganzen erfahren hatte. Persönlich glaube ich, sie wusste davon und auch wieder nicht. Sie war Künstlerin. Sie konnte mit Gegensätzen im Kopf leben. Und so vieles im Leben fällt darunter. Die Ehe, zum Beispiel. Ihr Verhalten passte zu dem wenigen, was ich von ihr kannte.
    Am vierten Tag nach den Morden – dem 18. Oktober – kam Florence in mein Zimmer und weckte mich. Sie hatte einen Pappkoffer mit Lederverschlüssen mitgebracht, auf dem seitlich Aufkleber prangten, PARIS, NEW ORLEANS, LAS VEGAS, NIAGARA FALLS . Sie stellte den Koffer auf meine Kommode und verkündete, ich könne meine Siebensachen nicht bis ans Ende meiner Tage in einem Kissenbezug aufbewahren. Wenn ich sie wiedersähe, könne ich ihr den Koffer zurückgeben. Sie gab mir eine Busfahrkarte und dazu ein kleines Ölgemälde von ihr, das die Erbsenstrauchhecke hinter Partreau zeigte, die weißen Bienenkästen im Hintergrund, die Prärie und den blauen Himmel, den sie komplett ausgemalt hatte. »Diese Ansicht ist besser als die vorherige«, sagte sie ganz

Weitere Kostenlose Bücher