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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Plötzliches oder Unerwartetes versuchen sollte, müsse er schießen, sagte er. (Später leugnete er, das gesagt zu haben.)
    Dieser Augenblick – als er sich lautstark offenbarte, mit gezogener Waffe, und die theatralischen Befehle brüllte, »keine Bewegung oder ich schieße« – könnte der Moment gewesen sein, in dem unser Vater am meisten Spaß hatte, sich am meisten verwirklichte (seit er einen Himmel voller Bomben auf Japan hatte stürzen lassen), in dem er die Euphorie darüber verspürte, endlich zu tun, was er sich so lange schon gewünscht hatte, nicht nur, weil er sich die Chance durch die ungerechten Umstände redlich verdient hatte (die Indianer, die letzten Jobs, die Air Force, meine Mutter), sondern auch, weil ein bewaffneter Raubüberfall eine befriedigende Lösung und ausgleichende Gerechtigkeit war, denn er bestahl ja nicht irgendwelche Sparer, sondern die Regierung, für die er viel geopfert hatte, Tausende getötet hatte, ein Patriot gewesen war, die Regierung, die über unendliche Ressourcen verfügte, und er löste nur die Probleme unserer Familie mit einem geschickten Coup.
    Es ist wenig wahrscheinlich, dass diese Euphorie lange anhielt. Die Bankbeamten und den Wachmann im Auge behaltend, aber weniger die Juweliersangestellte, die sich ächzend hinlegte und aus dem Weg robbte wie eine Schlange auf dem harten Boden, stellte mein Vater seinen Leinwandbeutel auf den Marmortresen vor das Schaltergitter und wies die Angestellte an, alle drei Bargeldschubladen der Kasse sowie das Geld, das die Juweliersangestellte noch nicht erhalten hatte und das noch abgezählt dalag, hineinzustecken – und zwar dalli und ohne ein Wort. In diesem Moment – die Angestellte schob die Geldscheinpäckchen in den Beutel, der groß genug für eine Bowlingkugel war – hob einer der Bankbeamten, ein adretter stellvertretender Direktor namens Lasse Clausen, der später vor Gericht gegen meinen Vater aussagte, den Kopf vom Boden, sah meinen Vater an und sagte: »Wo kommen Sie her, Junge?« (Er hatte den Alabama-Akzent meines Vaters bemerkt.) »Sie müssen das nämlich nicht tun, wissen Sie. Es ist falsch. So lösen Sie Ihre Probleme bestimmt nicht.« Was die Juweliersangestellte, mittlerweile ausgestreckt am Boden, zu dem Kommentar veranlasste: »Und Sie werden nicht davonkommen. Irgendwer wird Sie erschießen, bevor Sie aus der Stadt raus sind. Sie sind nicht der Einzige mit einer Waffe hier.«
    Unser Vater erzählte unserer Mutter, diese Worte hätten ihn furchtbar ernüchtert, und ihn habe »ein heftiger Unmut« über all die Leute in der Bank ergriffen. Kurz sei er versucht gewesen, sie alle zu erschießen, einen nach dem anderen, um jede Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, aus dem Weg zu räumen, damit wäre ihnen nur recht geschehen – sie hatten einfach mehr Pech als er. Er habe es nur deshalb nicht getan – erklärte er ihr –, weil es nicht zu seinem Plan gehörte. Während all der Jahre, als er vermutlich – genießerisch – mit dem Gedanken spielte, eine Bank zu überfallen, war nie jemand zu Tode gekommen. Er hatte vor, sich an seinen Plan zu halten, weil clevere Menschen das so machten. Aber er hätte sie umbringen können, sagte er, schließlich hätte er schon Schlimmeres im Leben getan. Schon möglich, dass er nur im Nachhinein herumprahlte, denn sie persönlich zu töten wäre etwas ganz anderes gewesen, als Bomben aus einem Flugzeug abzuwerfen.
    Als das ganze Bargeld im Beutel lag, blickte die junge Angestellte hinter dem Schalter meinen Vater an. Sie sagte später, sie habe ihn so angesehen, als ob sie mit ihm bekannt wäre. Er wusste auch, dass ihn alle Anwesenden ausgiebig betrachtet hatten und dass sie weder von seiner Pistole noch von dem Überfall an sich besonders schockiert waren. Ihre Bank war vor nicht allzu langer Zeit schon einmal überfallen worden, nur eben nicht von ihm. Das waren die ersten Schritte auf dem Weg zu seiner Ergreifung. Wahrscheinlich war er schockierter als sie. Später sagte er zu meiner Mutter, in dem Augenblick sei ihm zum ersten Mal der Gedanke, womöglich erwischt zu werden, in den Sinn gekommen. Spontan hätte er am liebsten den Überfall auf der Stelle abgebrochen. Nur dass das nicht mehr ging. Er sah zu der großen Uhr über dem offenen Banktresor hoch. 09:09. Der Tresor, Messing und Silber und Stahl, verlor sich als verlockender Tunnel in der Rückwand. Da lagen noch Tausende Dollar. Aber er beschloss, mehr Geld könne er nicht in dem Beutel unterbringen

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