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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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– und so viel brauche er auch gar nicht. Er war seit vier Minuten in der Agricultural National Bank. Alle hatten ihn gesehen. Alle hatten seine weiche Stimme und seinen Dixie-Akzent gehört. Alle würden ihn bis ans Ende ihrer Tage vor sich sehen, wenn sie die Geschichte von dem Banküberfall erzählten, den sie erlebt hatten. Er wusste all das. Er fand es vielleicht sogar gut. Er roch seinen Schweiß – Schweiß, den auch die anderen riechen konnten. Ihm blieb nichts weiter zu tun, als den Beutel mit dem Geld zu nehmen – der 2500 Dollar enthielt – und zu gehen. Was er auch tat. Ohne ein weiteres Wort. Das Gefühl, gerade einen großen Fehler begangen zu haben, war schon jetzt sehr stark.

17
    Meine Mutter war auf den Fahrersitz gerutscht, nachdem mein Vater hinter der Bank geparkt hatte. Sie hatte den Sitz nach vorn gerückt, so dass sie mit den Füßen an die Pedale kam. Sie wartete mit laufendem Motor, als er mit dem Beutel in die Seitenstraße kam. Er stieg gleich hinten ein, kroch unter eine bereitliegende Decke, und sie fuhr langsam los, damit keiner das, was in der Bank vorgefallen war, mit einem weiß-roten Chevrolet Bel Air mit North-Dakota-Nummernschildern in Verbindung brachte, der Richtung Westen aus der Stadt tuckerte.
    Ihrem Plan entsprechend fuhr sie zurück Richtung Montana, mein Vater blieb auf dem Rücksitz verborgen, und auf die Rumpelpiste durch die Gerstenfelder, zu den Pappeln und dem Bach, wo sie vor weniger als einer Stunde haltgemacht hatten. Mein Vater stieg aus, in den Staub und die Hitze, riss sich den Overall und die Tennisschuhe vom Leib und steckte, noch in Unterhosen, das Geld (er wusste bereits, dass es weniger war, als er eigentlich hatte erbeuten wollen) zwischen Sitz und Lehne der Rückbank. Den Overall, die Schuhe, die Mütze und die Decke sowie die grün-weißen Nummernschilder von North Dakota stopfte er in den blauen Beutel, dazu ein paar staubige Steine, und warf alles in den Bach. Der Beutel versank nicht, sondern wirbelte in einem schaumiggelben Strudel von dannen und verschwand. Er fand aber, dass das eigentlich genauso gut war wie Versinken, wer sollte den Beutel schon entdecken. Dann zog er seine Jeans an, sein weißes Hemd und die Stiefel und schraubte die Montana-Nummernschilder wieder ans Auto. Meine Mutter fuhr zurück zum Highway, bog nach links Richtung Grenze ab, und sie ließen alles hinter sich.
    In Glendive machten sie einen Zwischenstopp am Yellowstone Motel. Unser Vater ging in ihr Zimmer und sammelte die herumliegende Kleidung ein. Dann spazierte er ins Büro und sprach mit dem Mann an der Rezeption – es war nicht derselbe wie am Vorabend. Als er bezahlte – in bar –, machte er einen Scherz darüber, dass der Himmel ja jetzt voller Satelliten hänge und bald alle Bescheid wüssten über alles, was jeder so tue – was dem Mann als seltsame Bemerkung im Gedächtnis blieb. Mein Vater holte den kleinen Koffer meiner Mutter aus dem Zimmer und brachte ihn zum Chevrolet, wo sie ihn erwartete. Er setzte sich hinters Steuer und fuhr sie zurück nach Great Falls. Alles war genauso gelaufen, wie es der einfache Plan meiner Mutter vorgesehen hatte. Falls sie sich bewusste Sorgen darüber machten, erwischt zu werden – angebracht wäre das schon gewesen –, dürften sich diese spätestens auf dem Heimweg verflüchtigt haben, den sie erleichtert und glücklich zurücklegten, in Gedanken bei Berner und mir und dem besseren Leben, das nun für uns alle beginnen würde.

18
    Drei Dinge sind mir durch den Kopf gegangen – bezogen auf die Nachwirkungen ihres bewaffneten Raubüberfalls und darauf, dass unsere Eltern zu Verbrechern geworden waren und sehr bald ins Gefängnis kamen.
    Erstens: Sie waren immer sehr verschieden gewesen. Das merkten meine Schwester und ich über die Jahre unserer Kindheit. Diese tiefen Unterschiede – was ihre Persönlichkeit anbelangte, ihre Erscheinung und Einstellung, ihr Temperament (ich habe sie schon beschrieben) – stellten die Endpunkte des Spektrums dar, innerhalb dessen sich mein und Berners Leben bewegte. Wir waren zusammengesetzt aus den Wesenszügen, die sie voneinander unterschieden – einige stärker bei mir, andere bei Berner –, aber das machte uns untereinander nicht ähnlicher. Ich war optimistisch, aber nicht so optimistisch wie unser Vater. Ich war vorsichtig, aber nicht so eisern skeptisch, wie es unsere Mutter sein konnte. Berner sah wie meine Mutter aus, war aber größer, schon mit fünfzehn –

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