Kanada
eingeprägt hatten. Wie sich zeigte, war mein Vater für keinen in Creekmore besonders einprägsam – bis der Moment kam, gegen ihn auszusagen, da wurde er es dann plötzlich.
Ich habe mich immer gefragt, worüber sie wohl geredet haben, unsere Mutter und unser Vater, während sie mitten durch Montana fuhren, die Pistole im Beutel, ihrem Schicksal entgegenrasend und das ihrer Kinder im Schlepptau. Ich bin davon ausgegangen, dass es bestimmt anders war, als man denken würde – wie so oft. In meiner (nennen wir es mal) Fantasie stritten sie sich nicht, kein Grummeln, Grausen oder Hassen. Er versuchte nicht, sie zu dem Überfall zu überreden (das war nicht nötig). Sie spulte die Gründe, warum der Überfall unnötig war, nicht noch einmal ab (das war bereits geklärt). Er war überzeugt, das Geld würde ihr Leben wieder auf die Beine bringen, ihm Schwung geben, uns alle zusammenhalten und dafür sorgen, dass wir uns als eine ganz normale Familie in Great Falls verwurzeln konnten (das sagte er tatsächlich). Oder er hatte eingesehen, was für ein Versager er war, was für einen jämmerlichen Schlamassel er angerichtet hatte, und brannte darauf, endlich etwas Beeindruckendes zu leisten (mehr als nur den Verkauf von ein paar Ranches oder ein bisschen Viehdiebstahl), etwas, das entweder ihn und uns alle ins Schlaraffenland bringen oder das Ganze in die Luft jagen würde, so dass nichts mehr so wäre wie früher. Ereignen konnte sich sowohl-als-auch ebenso wie entweder-oder, in Anbetracht seines unberechenbaren, leichtsinnigen Charakters. Aber eindeutig wollte er mehr als nur 2000 Dollar, um die Indianer auszuzahlen, denn an das Geld hätte er auch kommen können, ohne eine Bank zu überfallen. Eigentlich ging es für ihn bei der ganzen Sache um dieses Mehr – was immer es genau war.
Für unsere Mutter lagen die Dinge natürlich anders. Sie war keine offensichtliche Hasardeurin und verfügte über gesunden Menschenverstand. Sie war dazu erzogen worden, auf Wissen und feine Unterschiede Wert zu legen, und konnte sich eine andere, für sie immer noch erreichbare Zukunft vorstellen. Doch da sie zugestimmt hatte – ihn zu begleiten, ihrem einfacheren Plan zu folgen, im Wagen zu sitzen, zu warten, sie nach vollbrachtem Überfall zurückzufahren –, ja, sogar am Vorabend guter Laune gewesen war, muss man wohl akzeptieren, dass sie es, wenn nicht willig, so doch wissend tat, in der Hoffnung, dass ihr Leben nachher vielleicht besser wäre.
Ich tippe darauf – heute, fünfzig Jahre später –, dass Neeva in ihrem neuen Gefühl von Freiheit und Loslassen zu dem bemerkenswert irrigen Schluss gekommen war, ein Banküberfall sei ein lohnendes Risiko, weil er ihr die Erfüllung einiger Wünsche erleichtern konnte. Diese Fehlkalkulation war gar nicht so weit entfernt von jener anderen, die sie dazu gebracht hatte, Bev Parsons überhaupt zu heiraten – und das Leben, das sie stattdessen hätte haben können, aufzugeben, um eines zu führen, das zunächst abenteuerlicher und überraschender schien. Mit der Hälfte des Geldes aus einem Banküberfall musste sie nicht unbedingt in ihr fehlkalkuliertes Leben zurückkehren, das mittlerweile zu einem einzigen Vorwurf geworden war. Der Banküberfall sah für sie möglicherweise besser aus, als in die Nacht loszufahren und in irgendeinem staubigen, fremden Cheyenne, Wyoming, oder Omaha, Nebraska, aufzuwachen. In ihrer Chronik schreibt sie, dass sie meinem Vater gesagt habe, sobald der Überfall hinter ihnen liege, würde sie die Hälfte des Geldes und uns Kinder nehmen und fortgehen. Darauf habe er gelacht und gesagt: »Wart doch erst mal ab, wie du dich dann fühlst.«
Mich fasziniert, wie sie dem Punkt, ab dem es kein Zurück mehr gab, kaum merklich immer näher rückten, auf dieser Fahrt, als sie plauderten, sich dies oder jenes anvertrauten und Zärtlichkeiten austauschten – denn offiziell war ihr Leben ja noch völlig intakt. Wie erstaunlich weit die Normalität reicht; wie man sie in Sichtweite behalten kann, als säße man auf einem Floß, das aufs offene Meer hinaustreibt, und der Streifen Land am Horizont wird immer kleiner. Oder in einem Heißluftballon, der auf einer Säule aus Prärieluft emporgetragen wird, und unter einem wird die Erde weiter und flacher und immer undeutlicher. Das bemerkt man, oder man bemerkt es nicht. Aber man ist schon zu weit weg, und alles ist verloren. Vermutlich wegen der katastrophalen Entscheidungen unserer Eltern hege ich bis heute ein
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