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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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überlegen sollen«, sagte er. »Ab heute gehören sie dem Staat Montana.«
    Die beiden bugsierten meine Mutter über den Betonweg auf meinen Vater zu, der lachte und glotzte, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Kleine weiße Konfetti klebten noch von gestern auf dem Beton.
    »Darf ich einen Anwalt sprechen?«, fragte mein Vater. Er wirkte aufgekratzt. »Ich glaube, ich kenne gar keinen.«
    Der Polizist Bishop führte ihn auf den Streifenwagen zu und öffnete die hintere Tür. »Sie werden keinen brauchen, Bev«, sagte er.
    »Sie wissen aber, dass das alles ganz unnötig ist, nach meiner Abwägung?« Mein Vater drehte sich nach mir um. Nach meiner Abwägung . Das hatte ich ihn noch nie sagen hören.
    »Da irren Sie sich«, sagte Bishop.
    Während sie auf den Rücksitz des Streifenwagens gesetzt wurde, rutschte unserer Mutter die Brille auf der einen Seite vom Ohr. Der dicke Polizist, der sie am Arm hielt, setzte die Brille vorsichtig wieder zurück, so dass sie wieder da war, wo sie hingehörte. Unsere Mutter warf mir noch einmal einen Blick durch die offene Wagentür zu. »Bleibt einfach im Haus, Dell«, rief sie. »Geht mit niemandem mit außer Mildred. Lauft weg, wenn ihr müsst.«
    »Mach ich nicht«, sagte ich. Ich glaubte, Tränen in ihren Augen zu sehen.
    Unser Vater befand sich auf der anderen Seite des Autos, zur Straße hin. Er wurde nach unten und zur Tür hineingedrückt. Plötzlich sah er auf, über das Wagendach hinweg. Seine wilden Augen fanden mich, und er brüllte: »Ich hab’s dir gesagt. Nichts Besonderes dran an diesen Affen.« Der Polizist Bishop legte seine Hand noch nachdrücklicher auf den Kopf unseres Vaters und zwang ihn energisch nach unten auf den Rücksitz, wo unsere Mutter bereits saß. Unser Vater sagte noch irgendetwas, aber ich konnte es nicht hören. Bishop warf die Tür zu. Immer mehr Leute starrten von der Kirchentreppe aus, sie waren zum Gaffen herausgekommen. Es war ein Spektakel, das Schlimmste, was passieren konnte, und es passierte auf die schlimmste Weise.
    Bishop ging um den Wagen herum auf die Fahrerseite. Der ältere, massige Polizist setzte sich auf den Beifahrersitz. Das Gesicht meiner Mutter war im Heckfenster zu sehen. Sie sprach wütend – so sah es aus – mit unserem Vater auf dem Sitz neben ihr. Sie sah mich nicht. Krachend wurde der Gang eingelegt, dann fuhr der Streifenwagen langsam an. Ich stand auf der vorderen Veranda und beobachtete, wie alles geschah. Ließ alles geschehen. Sah zu, wie meine Eltern verhaftet und weggebracht wurden, als hätte ich nichts dagegen. Die Sonne schien in einzelnen Lichtstreifen durch das Ulmenlaub. Die Luft war schwer und warm. Ein schwaches Dieselaroma trieb von den Frachthöfen heran. Auf der Central jaulte die Polizeisirene einmal laut auf, der Motor heulte und beschleunigte. Andere Autos auf der Straße fuhren beiseite. Dann ging ich wieder hinein, statt dort stehen zu bleiben und zuzuschauen und ein Spektakel für unsere Nachbarn abzugeben, die ich gar nicht kannte. Sonst fiel mir auch nichts ein. Ich konnte ja schlecht da draußen stehen bleiben. Und damit kam dieser Teil der Geschichte zu seinem Ende.

31
    Wer zusehen muss, wie die eigenen Eltern in Handschellen abgeführt, Bankräuber geschimpft und ins Gefängnis gebracht werden, und schließlich allein zurückbleibt, könnte darüber durchaus den Verstand verlieren. Er könnte panisch durchs ganze Haus rennen und heulen und sich der Verzweiflung anheimgeben, weil von nun an nichts mehr in Ordnung ist. Das mag für manch einen zutreffen. Aber niemand weiß, wie er in so einer Situation reagiert, bis es passiert. Ich kann nur sagen, das meiste davon fand nicht statt, auch wenn sich natürlich unser Leben für immer veränderte.
    Als ich zurück ins Haus kam, war Berner in ihr Zimmer gegangen, die Tür war zu. Ich stand allein mitten im Wohnzimmer und sah mich um, mein Herz schlug schnell, und meine Füße summten wie ein Schwarm Bienen. Ich ging nacheinander die Bilder an der Wand durch – diejenigen, die zum Haus gehörten, und die wenigen von uns. Das Bild von Präsident Roosevelt und die Entlassungsurkunde meines Vaters. Da lag der Kissenbezug mit meinen Sachen; der Koffer meiner Mutter; Berners Kroko-Reisetasche. Ich ließ den Blick über das kleine Bücherregal meiner Mutter schweifen, über das Puzzle mit den Niagarafällen auf dem Kartentisch, das verschrammte Klavier und die paar Stücke Montgomery-Ward-Mobiliar, die wir nach Great Falls mitgebracht hatten,

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