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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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als ich elf war. Da kam nicht viel zusammen. Der fleckige Perserteppich am Boden. Der Fernseher. Der Plattenspieler meines Vaters. Die Tapete mit dem sich wiederholenden Muster eines Segelschiffs. Die fleckige Decke mit der Lampe im Obstschalendesign und dem Medaillon, das mein Vater so schön fand. Ich war dafür verantwortlich, vorübergehend zumindest. Ich musste die Dinge angemessen einschätzen. Ruhig und geordnet vorgehen.
    In diesem Augenblick dachte ich tatsächlich nicht an meine Eltern – die auf dem Weg über den Fluss ins Gefängnis waren. Ich dachte nicht über die Bank nach, die sie angeblich überfallen hatten. Einerseits schien es unmöglich, dass sie keine Bank überfallen hatten, denn sie waren dafür verhaftet worden und hatten nicht ihre Unschuld beteuert. Mir fehlte eine genauere Vorstellung von einem Bankraub und von Leuten, die ihn begingen. Wie Bonnie und Clyde kamen mir unsere Eltern nicht vor. Ich wusste von den Rosenbergs, aber die waren etwas ganz anderes. Ehrlich gesagt, wenn ich in diesen ersten Stunden an unsere Eltern dachte, dann nicht im Zusammenhang mit der Frage, ob sie eine Bank überfallen hatten oder nicht; sie waren eher hinter einer Mauer verschwunden, einer Grenze, und Berner und ich waren auf der anderen Seite geblieben. Ich wollte, dass sie zurückkamen. Ihr Leben war immer noch unser wirkliches Leben, das große Leben. Wir lebten immer noch bei ihnen. Aber sie würden die Grenze wieder überqueren müssen, zurück zu uns, damit das Leben weiterging. Aus irgendeinem Grund erschien mir das zweifelhaft. Wahrscheinlich stand ich unter Schock.
    Fast sofort aber dachte ich an das Geld unter dem Autositz. Ich hatte Panik, dass jemand – die Polizei – es finden könnte. Die Agricultural National Bank, deren Name auf die Manschetten der Geldbündel gedruckt stand, sagte mir gar nichts. Der dicke Polizist hatte North Dakota erwähnt, aber mein Vater hatte abgestritten, dort gewesen zu sein. Er hatte den Chevrolet vor nicht allzu langem gekauft, das Geld konnte also die ganze Zeit darin gelegen haben und musste gar nicht mit ihm oder einem Bankraub in Zusammenhang stehen. Aber die Verbindung stellte ich schon her. Wahrscheinlich lagen noch weitere Päckchen im Auto. Die mussten da rausgeholt werden – obwohl ich keine Ahnung hatte, wo ich sie hintun sollte, falls die Polizei zurückkam und das Haus durchsuchte, was meines Wissens nach Diebstählen geschah.
    Ich ging zur Küchentür hinaus und durch den Garten. Ich kroch auf die warme Rückbank des Bel Air, der nicht abgeschlossen war, und stocherte zwischen den Polstern herum, bis ich das Päckchen spürte, kühl und straff eingewickelt. Ich ließ meine Hand bis zum Ellbogen in dem Hohlraum kreisen, ertastete Schrauben und Schimmel am Chassis und Staub und etwas Schmieriges. Ich fand eine ungeöffnete Packung Nelkenkaugummi, einen Knopf und einen leeren Umschlag von einem gewissen St.-Patrick’s-Krankenhaus – und ließ alles drinnen. Weder dort noch unter den Vordersitzen oder im Handschuhfach fand ich weitere Geldpäckchen und entschied, dass es keine weiteren gab. Ich stopfte das eine, das ich gefunden hatte, vorn in meine Hose wie zuvor, krabbelte hinaus und lief schnell durch den Garten wieder ins Haus, wo hoffentlich keine Polizei wartete. Drinnen steckte ich die Scheine (die ich nicht zählte, darauf kam ich gar nicht, obwohl der oberste ein Zwanziger war) unter den Besteckeinsatz in der Küchenschublade – wodurch der Besteckeinsatz zu hoch saß und die Schublade nicht mehr schloss. Doch dann holte ich das Päckchen noch mal raus, zerriss die Manschette, nahm sie ins Bad mit und spülte die Papierschnipsel in der Toilette weg. Das war korrektes Verhalten. Meine Eltern hätten es klug gefunden. Ich legte das Päckchen wieder in die Schublade, machte zwei Stapel aus den Scheinen und legte sie nebeneinander, so dass die Schublade schloss. Niemandem würde etwas auffallen.
    Danach ging ich einfach zurück in mein Zimmer (aus Berners Zimmer drang kein Geräusch, und ich hatte keine Lust, mit ihr zu reden). Ich schloss die Tür und die Jalousie. Ich schaltete das Deckenlicht aus und legte mich angezogen hin – wie am Vortag. Stumm sah ich meiner Brust dabei zu, wie sie sich hob und senkte, spürte mein Herz darin schlagen, beobachtete meinen Atem und versuchte ihn zu regulieren, indem ich die Luft tief einsog. So könne man, hatte unsere Mutter mir erklärt, gut wieder einschlafen, wenn man nachts mit schwirrendem Kopf

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