Kanadische Traeume
und nicht in Anpetuwi.”
Erstaunen leuchtete kurz in seinen Augen auf. “Das war sehr tief”, sagte er, ließ sich aber nicht in ein ernstes Gespräch ziehen. “Die philosophierende Kellnerin schlägt wieder zu.”
Ich bin wieder einmal viel zu ernst, dachte Charity. Ich weiß einfach nicht, wie man sich mit dem anderen Geschlecht zwanglos unterhält. Plötzlich fühlte sie sich unbehaglich in seiner Gegenwart. Sie drehte sich von ihm weg und schaute auf den sturmgepeitschten See hinaus.
“Wie alt sind Sie, Charity?” fragte Matthew.
“Was schätzen Sie?” wich sie aus.
“Sie sehen aus wie neunzehn oder zwanzig, aber wenn ich Sie manchmal reden höre, kommen Sie mir älter vor.”
“Sie haben recht. Ich bin älter.”
“Um wieviel?” Matthew ließ nicht locker.
“Es ist mein Vorrecht als Frau, mein Alter nicht preiszugeben.” Wenn sie ihm sagte, wie alt sie war, wollte er sicher wissen, was sie in den letzten Jahren gemacht hatte.
“Ich schätze dreiundzwanzig.”
“Nicht schlecht geraten”, sagte Charity vage.
“Und was machen Sie, wenn Sie nicht gerade in Anpetuwi sind?”
Charity war auf diese Frage gefaßt. Mandy hatte ihr geraten, einfach zu lügen, aber das lag ihr nicht. “Warum denken Sie, ich sei nicht immer Kellnerin?”
“Sie sagten selbst, Sie wären nicht gerade überqualifiziert.
Wenn Sie Anfang Zwanzig sind, sind Sie schon eine Weile mit der Hochschule fertig. Was haben Sie in den letzten Jahren gemacht?”
“Raten Sie, und wenn Sie richtig raten, sage ich es Ihnen”, schlug Charity vor.
“Gut.” Matthew sah sie nachdenklich an. “Sie sehen blendend aus. Sie könnten Empfangsdame bei einer Weltfirma sein.
Jemand, der schön und unantastbar an einem kleinen Tisch mitten in einem Raum mit glänzendem Marmorfußboden sitzt.”
“Ich bin nicht schön und unantastbar.” Charity lachte.
“Einigen wir uns auf schön.” Ein seltsamer Glanz kam in Matthews Augen, obwohl seine Stimme gelassen klang.
“Irgendwie paßt Empfangsdame so wenig wie Kellnerin”, meinte er. “Sie sind groß und haben einen aufregenden Gang.
Man könnte an ein Mannequin denken.”
“Ein Mannequin? Ich?” Außer Mandy hatte das noch niemand in ihr gesehen. Mit Mandys Hilfe war es jetzt anscheinend aller Welt sichtbar geworden. Leider fühlte sich Charity wie eine Fremde in ihrer eigenen Haut.
“Also kein Mannequin.” Mit seinen saphirblauen Augen sah er sie so intensiv an, daß Charity glaubte, er blicke ihr bis auf den Grund ihrer Seele. “Ihre Art, sich auszudrücken, läßt auf eine gute Bildung schließen.”
Charity verzog keine Miene.
“Lehrerin? Das macht ihre Cousine das Jahr über, nicht wahr? Und es würde erklären, warum Sie mehrere Monate frei haben. Nein, umringt von dreißig Kiemen, nicht elegant genug.”
“Ich habe Kinder sehr gern”, protestierte Charity. Von wegen elegant, er müßte sie erst einmal nach zwölf Stunden im Operationssaal sehen, aber das konnte sie natürlich nicht erwähnen. “Es könnte ja sein, daß ich Ältere unterrichte”, sagte Charity.
“Könnte, ist aber nicht so. Sonst hätten Sie die eisige Schale einer schönen Frau, die von unreifen Jünglingen angehimmelt wird.”
Dabei hatte Charity gedacht, die hätte sie.
Matthew mußte ihre Gedanken gelesen haben. “Ich weiß, Sie haben nichts als Respekt für Lehrerinnen. Aber ich glaube einfach nicht, daß dieser Beruf schwer genug für die geheimnisvolle Miss Marlowe ist.” Und das sagte der geheimnisvolle Gast selbst!
“Was das Wort schwer bedeutet, weiß ich erst seit meinem ersten Abend in der Susweca Lounge”, sagte Charity und freute sich, daß sie damit rein gar nichts verriet.
Matthew lachte. Die kleinen Lachfalten in den Augenwinkeln, seine kräftigen weißen Zähne und der jungenhafte Ausdruck auf seinem Gesicht machten ihn unwiderstehlich attraktiv.
“Ich werde herausfinden, wer Sie sind. Ich bin sehr gut in solchen Spielen”, versicherte er ihr.
Sie konnte sich vorstellen, daß er sehr gut darin war, in diesem gefährlichen Spiel zwischen Mann und Frau. Sie wußte, da konnte sie nicht mithalten.
“Auch wenn ich den ganzen Sommer dazu brauche. Etwas Interessantes, Herausforderndes - Rennfahrerin! Nein, dazu fehlt es Ihnen an Kühnheit. Ich werde es schon noch herausbekommen. Und Sie werden es gar nicht bestätigen müssen. Plötzlich wird mir ein Licht aufgehen. Jetzt sind Sie an der Reihe.”
“Mir liegen Spiele nicht”, sagte Charity zaghaft.
“Sie
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