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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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Mosaiksteine müssen sich später zusammenfügen lassen. Zusammenfügen zu einem gewaltigen Granit. Zu einem Granit der Gesetzestreue, der bedingungs-losen Ehrlichkeit und der gutbürgerlichen Moral. Damit sie mich nicht abschieben können!
    »Entschuldigung, ich hab’s mir doch anders überlegt. Ich will doch nicht zwei Karten haben«, sage ich ganz schüchtern,
    »gehen Sie mir lieber gleich drei Karten. Vielleicht habe ich ja früher, irgendwann mal, vergessen zu stempeln. Sicher ist sicher, geben Sie mir lieber drei!«
    »Warum nicht gleich ein Dutzend?! Vielleicht sind Sie ja ein notorischer Schwarzfahrer und wissen es gar nicht!«
    »Sie haben ja so recht! Man kann nie vorsichtig genug sein.
    Geben Sie mir lieber gleich ein Dutzend.«
    Mit zwölf abgestempelten Fahrkarten in der Hand laufe ich stolz nach hinten. Sobald diese Abschiebungsgeschichte geklärt ist, werde ich mindestens elfmal schwarzfahren. Aber wenn ich es mir so recht überlege, kann ich ohne hin nicht in sieben Tagen das wiedergutmachen, was ich 30 Jahre versäumt habe. Dafür braucht man bestimmt noch mal 30 Jahre. Ob die Behörde bereit ist, meine Abschiebung so lange außer Kraft zu setzen? Wird die Türkei mich nach 30 Jahren Deutschland überhaupt wieder aufnehmen wollen? Nach all den Jahren bin ich doch mehr Deutscher als Türke. Und meine Kinder erst! Was ist, wenn uns auch noch die Türkei abschiebt?! Welches Land würde uns dann aufnehmen wollen?! Warum soll uns denn überhaupt irgendein anderes Land aufnehmen, wenn mich Deutschland nicht will, obwohl ich seit 30 Jahren hier lebe? Und wenn mich die Türkei nicht will, obwohl ich vor 52 Jahren dort geboren wurde? Da melde ich mich doch besser gleich für die erste Mondfähre an.
    Hinter dieser Abschiebungsaktion steckt bestimmt dieser Leckmikowski aus der Zone. Das hat der garantiert von langer Hand geplant. Das kriegt er zurück! Das zahl’ ich ihm heim!
    Den mach’ ich so fertig, dass der sich nach der Mauer zurücksehnt! Der wird sich wünschen, er hätte Sibirien nie verlassen!
    »Na, Opa, hast du immer noch nicht genug?« brüllt mir eine bestens bekannte Stimme ins Ohr. Bei Allah, schon wieder die beiden Räuber von heute morgen. Aber egal, ich habe nichts mehr, was die beiden mir abnehmen könnten. Aber warum bin ich wieder der einzige Fahrgast weit und breit? Wissen alle in der Stadt, dass das eine Gangsterbahn ist, nur ich nicht? Haben die Räuber die Straßenbahn in ihre Gewalt gebracht? Vielleicht ist auch der Fahrer einer von denen, und sie arbeiten zu dritt!
    Werde ich vielleicht jetzt sogar als Geisel entführt, womöglich nach Kuba?
    »Hier, Jungs, ihr könnt noch meinen Werksausweis von Halle 4 haben, den brauche ich nicht mehr!«
    »Willst du uns verarschen, du Wichser! Du hast schon wieder Geld, du hast doch gerade Fahrkarten bezahlt.«
    »Das war auch mein letztes Geld! Das hat euer Kollege da vorne mir schon alles abgeknöpft. Also ihr müsst schon morgen wiederkommen, heute habe ich absolut nichts mehr für euch.
    Oder wir können es so machen, dass ich morgen
    wiederkomme.« Es ist ein schönes Gefühl, wenn man nichts mehr zu verlieren hat. Schon zum zweiten Mal kann ich es mir heute erlauben, eine große Klappe zu haben.

    »Pass mal auf, Alter, wir mögen es nicht, wenn sich Penner wie du über uns lustig machen!« zischt der andere und schneidet mir blitzschnell, noch bevor ich mich bewegen kann, mit dem Messer das rechte Ohr ab.
    Der Schmerz lässt mich fast wahnsinnig werden.
    »So, das hast du nun davon!« und stopft mir das abgetrennte Ohr in meine Jackentasche: »Los, Alter, jetzt brav zu Oma, die kann das wieder annähen.«
    »Ihr Arschlöcher, ihr miesen Schweine, ihr gottverdammten Ratten!« schreie ich voller Schmerz und Wut und springe aus der Piraten-Straßenbahn.
    Mit der rechten Hand drücke ich auf die rechte Seite meines Kopfes, da, wo früher mal mein Ohr war. Ich halte das nächste Taxi an.
    »Los, fahren Sie so schnell Sie können zum nächsten Krankenhaus! »
    Auf dem Rücksitz lege ich mich auf die linke Seite, damit es nicht so viel blutet.
    »Was ist denn mit Ihnen passiert?« fragt mich der ausländische Fahrer neugierig, »dass Sie mir nicht den Wagen mit Blut versauen! »
    »Quatschen Sie nicht so viel! Stellen Sie sich vor, ich wäre im neunten Monat schwanger und das Baby müsste jeden Moment kommen! »
    »In Ordnung, ich fahre so schnell ich kann. Machen Sie sich aber auch wegen des Babys keine Sorgen, ich bin die geborene Hebamme!

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